Im Medienzirkus

Publiziert: 29.12.2024 um 08:58 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Die «SonntagsZeitung» schmückte letzte Woche ihre Titelseite mit einem Bild von Bundesrat Ignazio Cassis. Die Schlagzeile dazu: «Würden Sie diesem Mann einen EU-Vertrag abkaufen?» 

Warum eigentlich nicht? Der Aussenminister steht friedlich da, leicht lächelnd und die Hände entspannt ineinandergelegt, am Revers trägt er ein kleines Schweizerkreuz. Braver kann sich ein Bundesrat kaum präsentieren. 

Dabei ist die ursprüngliche Pointe, auf die das Blatt abzielt, von ordinärer Grobheit: Man zeigt einen abstossenden Kerl und stellt dazu die Fangfrage: «Würden Sie diesem Mann ein Auto abkaufen?» 

Dem Leser der «SonntagsZeitung» soll die Antwort «Selbstverständlich nicht» einfallen – und gefallen: Ihm wird suggeriert, der Freisinnige aus dem Tessin sei als Bundesrat inakzeptabel – jedenfalls, was den Vertrag mit der EU betrifft. Ein Typ, der tunlichst von der Bildfläche zu verschwinden hat, um einem volkstümlicheren Kollegen Platz zu machen – und zwar noch bevor die Debatte über das umstrittene Vertragswerk mit der Europäischen Union beginnt. Es sei denn, Ignazio Cassis gelobe Besserung. 

Was aber müsste der Chef der Schweizer Diplomatie verkörpern, um ein «Mann» zu sein, dem man einen EU-Vertrag abkauft? Ticino-Charme vielleicht, wie ihn sich die Journalisten der «SonntagsZeitung» als herzensfrohen Charakterzug vorstellen mögen? Oder – besser noch – Italianità, also das kunstvolle Räsonieren mittels Rhetorik und Gestik? Das wäre dann wohl der Aussenminister, den der Deutschschweizer Journalismus schon so lange herbeisehnt. 

Doch der Magistrat aus dem Süden bleibt, seinem zauberhaften Namen zum Trotz, hölzern wie ein Bergler: auf den zweiten Blick liebenswürdig, auf den dritten zugänglich, beim Abschied sogar herzlich, stets von der ersten bis zur letzten Minute auf die Sache konzentriert. 

Ignazio Cassis ist ein Handwerker der Politik. Dem – übrigens – der EU-Vertrag zu verdanken ist. 

Wer verdient mehr Vertrauen: ein Politiker für die publizistische Puppenstube oder ein authentischer Chrampfer zum Wohle der Schweiz? 

Der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten steht mit seinen Qualitäten nicht allein. Seine Kolleginnen und Kollegen taugen allesamt wenig für den journalistischen Showroom. Sie werden deshalb auch beharrlich gegeneinander ausgespielt: die «mächtige» St. Gallerin gegen die andern sechs, die charmante Jurassierin gegen den Stillen aus Basel, der beredte Berner gegen den mundfaulen Waadtländer, die herzlich-direkte Walliserin gegen das restliche Kollegium. 

Ja, die Schweiz verfügt über eine Regierung, wie sie von den Gründervätern erdacht worden ist: sieben völlig ungleiche Gleiche, die ihre Ungleichheit im Gremium munter ausleben – nach aussen aber als unspektakuläre Einheit in Erscheinung treten. 

Wie soll ein Journalist mit so etwas zufrieden sein? Da muss die Fantasie ausmalen, was die Wirklichkeit nicht hergibt:

Einen Bajazzo für den Medienzirkus.

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