Dieser Tage ging ein Jubelschrei durchs Land: «Superreiche sind gut für die Schweiz!» Mit verführerischer Stimme liess die Zürcher Soziologin Katja Rost dem Blick diese Erkenntnis zuteilwerden – eine wissenschaftliche Untermauerung des allgemeinen Hallelujas, das gerade in den Medien ertönt. Demnach bilden die Reichen, insbesondere die Superreichen, die eigentliche Quintessenz der Eidgenossenschaft: Ohne sie hätten wir weder Gegenwart noch Zukunft.
Denn die Schweiz, das sind die Reichen.
Diese Zuschreibung muss man nicht einmal bestreiten: Die Reichen sind in der Tat ein nicht unerheblicher Teil der Schweiz, sie sind also auch die Schweiz. Mit Betonung auf «auch». Ihr Reichtum ist ein Erzeugnis der Schweiz. Es manifestiert sich in vielerlei Form, unter anderem – und gottlob äusserst häufig – in der des unternehmerischen Erfolgs.
Ja, Unternehmer tragen viel zu dem bei, was die Schweiz ist: Sie verantworten Firmen und erweitern damit die wirtschaftliche Substanz der helvetischen Gesellschaft. Ihre Tätigkeit, ihre Leidenschaft ist von gesellschaftlichem Wert, selbst dann, wenn ihr Antrieb sich in garstiger Gier nach Geld erschöpft.
Doch allein auf weiter Flur wird niemand reich. Dazu braucht es Menschen, die mit ihrer Werktätigkeit, ihrem Können, ihrem Fleiss für vermarktbare Erzeugnisse sorgen, zum Beispiel für Uhren oder Pharmaprodukte oder Lokomotiven oder Maschinen oder digitale Werkzeuge: Werte, die wiederum Mehrwert schaffen – den Reichtum der Reichen und Superreichen.
Von nichts kommt nichts, sogar die Spekulation mit Geld ist unmöglich ohne konkrete Werte und deren Mehrwert – ohne dass irgendwo und irgendwann irgendwer konkrete Arbeit geleistet hat.
Reichtum ist Ausdruck des Ganzen: der Gesellschaft, der schweizerischen Gesellschaft – einer sensationell gelungenen Gesellschaft.
Weshalb fühlen sich denn die Reichen und die Stars unter ihnen, die Superreichen, so überaus wohl in der Schweiz? Weil hier alles funktioniert. Und alles funktioniert, weil alles sorgfältig ins Werk gesetzt wird. Durch wen? Durch die Bürgerinnen und Bürger – durch die Bürgerschaft der Schweiz.
Zur Bürgerschaft zählen die Reichen wie die Normalverdiener: frei und gleich vor dem Gesetz, allesamt aufgerufen, am Bauen und Umbauen und ständigen Verbessern des Staates mitzuwirken. In einer Vielzahl von Referenden und Initiativen verwirklicht sich der Volkswille als Motor der modernen Schweiz, als politischer Antrieb, der eine Einschränkung der Freiheit ebenso verhindert wie eine masslose Erweiterung des Freiraums für einige wenige Reiche und Superreiche.
Weil die Schweiz diese Kultur so bedachtsam pflegt, ist sie eine Attraktion für Reiche und Superreiche aus aller Welt: für verantwortungsvolle Unternehmer ebenso wie für gierige Geldmacher.
Lobhudelei gegenüber den Reichen und deren Reichtum allerdings, wie sie gerade durch die Medien geistert, birgt die Gefahr, dass die Schweiz zum Resort für globale Milliardäre verkommt. Erste Anzeichen einer solchen Entwicklung sind sichtbar: Die Wohnungen für Normaleinkommen werden teurer bis zur Unbezahlbarkeit, die schönsten Skigebiete der Alpen sind für Normalfamilien bereits unerschwinglich, die Reichen-Reservate wie Zug oder Schwyz als Lebensraum für einfache Werktätige zunehmend «off limits», die schönsten Quartiere in den Städten weitgehend von wohlhabenden Expats besetzt, die idyllischen Seeufer lukrativ überbaut.
Den Schweizern kommt Schweiz abhanden.
Reichtum ist weder gut noch böse. Aber Reichtum ist auch Macht. Und als Macht passt er nicht zur Schweiz.
Nicht zur Bürgermacht.