Für den neuen Bundesrat spricht, was gegen ihn sprechen könnte: seine politische Herkunft aus Zug.
Zürichs Nachbarkanton hat sich als Nutzniesser der internationalen Finanzmetropole etabliert, als Fluchtort für Vermögende, die dem pulsierenden Leben der Grossstadt und ihren kulturellen Angeboten nicht entsagen wollen, deren Steuersatz aber zu hoch finden – und daraus schliessen: Ab an den langweiligen Zugersee!
Wer an einem solchen Ort Regierungserfahrung gesammelt hat, muss mit Misstrauen rechnen.
Doch wer in Zug regiert hat, der verzichtete darauf, unzählige Möglichkeiten zu nutzen, um Geld zu scheffeln: als Zudiener von Reichen und Reichsten, als deren eilfertiger Geldbote, der bloss die hohle Hand machen muss, um eigenes Vermögen anzuhäufen. Martin Pfister, der neue Bundesrat, hat für den Lohn eines Regierungsrats gearbeitet – und das Verb «arbeiten» trifft es:
Er ist, wie bodenständige Schweizer sich auszudrücken belieben: «sauber übers Nierstück».
Man darf aber nicht nur aufatmen, man darf sich sogar freuen: über die prächtige Familie, die sich im Bundeshaus um den frisch Gewählten versammelte – strahlende Frauen mit imposant-provozierenden Lockenfrisuren, herzlich lächelnde Männer. Martin Pfister lebt und gedeiht – anders ist es nicht zu deuten – in einem weltgewandten familiären Biotop.
Dies die unerwartete Zugabe des neuen Magistraten.
Trifft also zu, was überall zu lesen war: dass die Persönlichkeit Pfister gewählt wurde, nicht der Politiker Pfister? War es eine unpolitische Wahl?
Der «Tages-Anzeiger» hat es vorgeträumt: Wie der Bundesrat aussähe, würde er in seiner Zusammensetzung die Bevölkerung abbilden, auch wie er aussähe, würden die Kantone verteilungsgerecht mit Bundesräten bedacht. Sogar die «NZZ», eigentlich dem politischen Denken verpflichtet, brachte die schweizerische Regierungsformel auf den kleinsten mathematischen Nenner: «Man nehme sieben Personen aus sämtlichen grossen Parteien» – schon diese Idee «an sich» sei «kühn».
Diese Idee ist aber gar nicht die Idee.
Die Gründung der Republik 1848 war eine freisinnige Machtübernahme, und freisinnig bis auf die Knochen blieb die Bundespolitik mehr als hundert Jahre lang. Noch in den Siebzigerjahren war der Freisinn die Staatspartei, an ihr richtete sich das bundespolitische Geschehen aus. Allerdings hatte der christdemokratische Stratege Martin Rosenberg bereits 1959 die Weichen anders gestellt: mit der «Zauberformel», die zwei Sozialdemokraten den Einzug ins Bundesratskollegium ermöglichte. Seither gilt – und hält – die Regierung aus den vier grossen Parteien.
Eine unpolitische Formel? Ausdruck von Proporz? Müssen demnächst, aufgrund ihrer Stärke, auch Grüne oder Grünliberale berücksichtigt werden?
Das exekutive Zusammenwirken von vier Parteien im Direktorium des Landes ist politischer Wille. Wer dieses Meisterwerk durch mathematischen Proporz ersetzen will, missversteht den Grundgedanken der Demokratie: Demokratie ist die Struktur der Freiheit – und Freiheit ist Politik.
Die Wahl des fröhlichen Familienmenschen Martin Pfister ist eine politisch sehr bewusste Wahl: Sie ist die Nichtwahl des anmassenden Machtmenschen Markus Ritter.
Die politisch sehr bewusste «Zauberformel» hat Zukunft.