Frank A. Meyer
Vexierbild

Publiziert: 02.08.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 15:16 Uhr
Von Frank A. Meyer

Seit Allerneuestem verfügt die Schweizer Demokratie, ein altbewährtes System, in dem das Volk das letzte Wort zu haben meint, über eine höchst bemerkenswerte Innovation. Diese allerdings wurde vollständig ohne Mitwirkung des Volkes eingeführt. Ja, sie sollte dem Volk sogar verheimlicht werden. Erdacht wurde die Neuerung von der Schweizerischen Volkspartei.

Die Bündner Untergliederung der SVP will sie bei den bevorste­henden Nationalratswahlen zur Anwendung bringen. Der Name, den die Medien jener sonderbaren Ergänzung des Wahlrechts gaben, lautet: «Martullo-Blocher-Klausel».

Mit dieser Klausel verhält es sich wie folgt: Im Kanton des Unternehmens Ems-Chemie, dem die Blocher-Tochter Magdalena, verheiratete Martullo, vorsteht, sollen am kommenden 18. Oktober die SVP-Wahlergebnisse anders gewertet werden als bisher. Nämlich dergestalt, dass nicht die Zahl der Listenstimmen wahlentscheidend ist, bisher Usanz bei den Wahlen für die Volkskammer, sondern die persönlichen Stimmen der Kandidaten – parteilicher Majorz statt schweizerischer Proporz.

Ziel des exklusiven Regelwerks: Magdalena Martullo-Blocher, die im Kanton Zürich lebt und im Kanton Graubünden kandidiert, soll möglichst mühelos Nationalrätin werden.

Denn was sein muss, muss sein – zur Not auch durch Manipulation der Proporzwahl. Die Demokratie hat schliesslich ihre Grenzen, wenns um Wichtigeres geht: um die Nachfolge des Populisten-Patriarchen durch dessen leibhaftige Tochter. Weshalb selbstredend auch die Zurichtung des Wahlrechts in jedweder Hinsicht legitim erscheint.

Die «NZZ am Sonntag» kommentierte den Vorgang dennoch erkennbar perplex mit der Feststellung: «Die SVP trickst ihre Wähler aus.»

Dieser pikierte Kommentar wird nun aber dem Sachverhalt ganz und gar nicht gerecht, wissen SVP-Wähler doch seit je, was und wen sie wählen: den ganz persönlichen Machtapparat ihres Herrn und Gebieters, dem, wie es sich für feudale Verhältnisse gehört, seine ganze Familie zuzurechnen ist. Letzteres müsste historisch gebildeten Journalisten eigentlich geläufig sein.

Denn exakt so verhielt es sich mit den Machtverhältnissen vor der bürgerlichen Revolu­tion, weshalb ebendiese ja stattfand – ein Umstand, mit dem sich manche Bürgerliche offenbar bis heute nicht so richtig anfreunden mögen, regt sich doch tief in ihrer Seele immer wieder die Sehnsucht nach der Zeit vor ihrer Zeit.

Nicht dass sie von Adel wären, die Blochers, nein, sie sind von Geld. Doch in der Schweiz ist Geldadel nun mal Adel, Ersatzadel. Zu welchem inzwischen auch fremdländischer Geldadel zählt, zum Beispiel aus dem öl- und wüstenreichen Morgenland oder den blühenden Korruptionslandschaften des ehemaligen Sowjetreiches.

In der Schweiz sind Geldhaber Machthaber. Der frühere Rohstoff des Landes – Intelligenz, Erfindungsgeist und Tüchtigkeit der Bürger – wird gerade abgelöst vom Rohstoff Geld.

Und mit dem leistet man sich auch etwas. Die verehrte Feudalfamilie der Schweizer Politik zum Beispiel hält sich eine eigene Partei.

Feudale Verhältnisse sind seit jeher verzweigte Verhältnisse: Neben dem Volk, das sich willig führen lässt und seinem alt gewordenen Herrn durch erge­benes Wahlverhalten sogar die junge Herrin als Nachfolgerin beschert, dürfen Vasallen an der Macht teilhaben, Banker beispielsweise oder andere geldmächtige Unternehmer in ihren jeweils eigenen Einfluss-Sprengeln, auch sie allzeit dienstbare Geister des Lehensherrn.

Was natürlich zu dieser Herrschaftsform dazugehört, sind Verlautbarungs-Postillen, die das rechte Denken vom Hof der Feudalfamilie hunderttausendfach unters gemeine Volk bringern, sei es per Wochen- oder per Tagesblatt. Die Schriftführer jener Publikationen sind ihrem politischen Zuchtmeister in gläubiger Hingabe und engster Dankbarkeit verbunden, weshalb sie sich von ihm, wenn überhaupt, höchstenfalls rückwärts entfernen, gebeugten Hauptes, versteht sich.

Wahrlich, es herrscht eine un­geschriebene, subtile, nichtsdestotrotz stabile Ordnung im Reich des Patrons.

Fast möchte man es Demokratie nennen.

Im Übrigen ist die Partei des Patriarchen die grösste der Schweizer Demokratie – einer Demokratie, die 1848 vom Freisinn erkämpft und durchgesetzt wurde: als bürgerlicher Staat inmitten feudaler Zustände, wie sie rundherum das restaurative Europa prägten.

Es ist mit der SVP wie bei einem dieser Vexierbilder, die uns auf den hinteren Seiten mancher Zeitschriften zur Enträtselung und Erbauung vorgesetzt werden. Die Frage lautet jeweils, was bei konzentriertem Hinschauen sonst noch zu erkennen sei, ein Kaminfeger zum Beispiel oder ein König.

Was aber ist zu erkennen, wenn man das Vexierbild Schweizerische Volkspartei konzentriert ins Auge fasst?

Feudalismus.

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