Frank A. Meyer
Vertrauensfrage

Publiziert: 29.01.2017 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 10:20 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist
Frank A. Meyer
Foto: Antje Berghäuser

Das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» hat errechnet, dass Magdalena Martullo-Blocher über ein Vermögen von vier Milliarden Franken verfügt. Der BLICK hat errechnet, dass die SVP-Nationalrätin damit fünf Mal so reich ist wie alle übrigen Bundesparlamentarier zusammen. Die Rechnerei verdichtete sich schliesslich zu der griffigen Schlagzeile: «Nationalrätin Superreich».

Nationalrätin Superreich kämpft für die Unternehmenssteuerreform (USR) III, über die das Volk am 12. Februar entscheidet. Sie bezeichnet alt Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf deshalb als «verantwortungslos», denn die frühere Vorsteherin des Eidgenössischen Finanzdepartements hat sich – ebenfalls im BLICK – erdreistet zu erklären: «Die Reform ist aus der Balance.»

Inzwischen war in der «Neuen Zürcher Zeitung» zu lesen, die USR III sei eine «Glaubensfrage». Für die Bürgerinnen und Bürger ist die Sachlage also arg unübersichtlich: Kostet das Reformvorhaben die Kantone womöglich Steuerausfälle zwischen 3,5 und vier Milliarden Franken pro Jahr? Oder erweist sich die Beglückung von Unternehmen durch massive Steuergeschenke schliesslich als Segen für den Holdingstandort Schweiz?

Wird die Reform, die das Schweizer Steuersystem internationalen Standards anpassen soll, zum Nutzen? Oder wird der Nutzen für manche zum Schaden fürs Ganze?

Der Sache jedenfalls ist nicht zu trauen. Vielleicht aber den Personen.

Nur: wem? Magdalena Martullo-Blocher? Oder Eveline Widmer-Schlumpf? Der superreichen Nationalrätin? Oder der alt Bundesrätin, die trotz ihrer Bundesratsrente im Vergleich zu Martullo-Blocher arm ist wie eine Kirchenmaus?

Nein, nein und nochmals nein: Das Vermögen ist der Kronprinzessin unseres Herrliberger Oligarchen nicht negativ anzurechnen. Sie hat es ehrlich geerbt. Es ist kein Makel.

Dennoch, dennoch und abermals dennoch: Die vier Milliarden summieren sich zu einer Interessenlage, zumal die glückliche Erbin auch noch das Blocher-Unternehmen Ems anführt, vom Wirtschaftsmagazin «Bilanz» auf einen Gesamtwert von zwölf Milliarden Franken geschätzt.

Von diesem finanziellen und wirtschaftlichen Hochsitz herab betrachtet und beurteilt Martullo-Blocher die USR III. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, wie Karl Marx einst so trefflich formulierte. So gesehen, sind Martullo-Blochers Sein und Bewusstsein bestimmt durch Reichtum und Unternehmertum. Die USR III dient diesen Lebenswirklich­keiten. Für beide ist sie von hohem Nutzen – wohl das Einzige, was sich von dieser Reform mit Sicherheit sagen lässt.

Also ein Ja in die Urne!

Doch vorher rasch noch zur Kirchenmaus Eve­line Widmer-Schlumpf: Was ist ihr Sein? Es war und ist der Staat – für die Bündner Regierungs­rätin der Kanton, für die Bundesrätin der Bund. Es ist das öffentliche Wohl.

Auch Eveline Widmer-Schlumpf ist Erbin. Nicht von Milliarden, auch nicht eines Unternehmens. Geerbt hat sie vielmehr – viel mehr – eine Grundeinstellung, eine Geisteshaltung: die der Citoyenne, einer Bürgerin, die sich über alle privaten Interessen hinaus stets dem gesellschaftlichen Ganzen verpflichtet fühlte.

Ihr Erbe stammt ebenfalls vom Vater. Der hiess Leon Schlumpf und war von 1980 bis 1987 Bundesrat der SVP, geprägt durch die politische Kultur der Demokraten, einer staatsbejahenden Partei des fortschrittlichen Bürgertums, die im Kanton Graubünden mit der SVP fusionierte.

Eveline Widmer-Schlumpf wurzelt tief in dieser Tradition. Jetzt gerade hat sie ihre politisch-kulturellen Wurzeln wieder sichtbar werden lassen: mit dem Einspruch gegen die waghalsige Unternehmenssteuer­reform III, die sie als Finanzministerin selbst vorbereitete – und von der sie darum wirklich weiss, wie sehr das Gesetzeswerk inzwischen «aus der Balance» geraten ist.

Wem soll man glauben? Wem soll man folgen?

Ja, wem denn nun?

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