Frank A. Meyer
Stunde der Kindsköpfe

Publiziert: 03.07.2016 um 12:01 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 10:10 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Oh Morgenluft! Oh Morgenröte! Welcher Duft, welches Licht, welche Stimmung! Man muss nur schnuppern, nur schauen, sich der politischen Lage nach dem Brexit einfach nur hingeben!

Doch der Bundesrat schnuppert nicht, schaut nicht, gibt sich nicht hin. Konsterniert stellt der BLICK fest: «Seit dem Brexit ist der Bundesrat ein Panikorchester.»

Das Unvermögen der Landesregierung, die Gunst der Stunde zu nutzen, fasste das Blatt in die böse Schlagzeile: «Chaos-Truppe Bundesrat».

Ja, dem Land fehlt forsche Führung.

Dabei verfügt die Schweiz über den Vordenker aller Vordenker, dem der Bundesrat einfach folgen könnte, folgen sollte, folgen müsste, hält der Weise vom Herrliberg doch einmal mehr freigiebig seinen Rat bereit: «Die EU hat Angst vor der Schweiz.»

Das ist die historische Gelegenheit, den der Chefstratege aller Chefstrategen, ungeduldig, wie er nun mal ist, am liebsten heute statt erst morgen ausnützen möchte, zum Wohle der Schweiz und – ausnahmsweise! – sogar zum Wohle der Europäischen Union: «Wäre ich die EU, würde ich mich schnell mit der Schweiz einigen.»

Ein Satz von absurder Logik, wäre Christoph Blocher nämlich die EU, was seiner Gefolgschaft erspart bleiben möge, würde er im Geiste von Christoph Blocher verhandeln. Er, ja ER! auf beiden Seiten des Verhandlungstisches. Was stünde dem Glück noch im Weg? Dem Glück der Schweiz? Dem Glück des Narzissten aller Narzissten?

Freilich: Unser Winston Churchill, unser Boris Johnson fantasiert nicht einfach so allein drauflos. Konrad Hummler, einst Bankier, jetzt von der anschmiegsamen «Schweiz am Sonntag» ebenfalls zum «Vordenker» erhoben, schwärmt von einem Modell «Efta/EWR 2.0», bestehend aus der Schweiz, Norwegen, Island, Liechtenstein und Grossbritannien, ein Verein «mit einer gewissen politischen Macht ausgerüstet», um im Interesse seiner Mitglieder «gegen aussen zu wirken», wie der beseelte Appenzeller sein Angebot an Europas Aussenseiter auszuschmücken weiss.

Es wäre nichts weniger als die Gründung einer EU gegen die EU. Mit Konrad Hummler als Gründungsvater und der Schweiz als Gründungsnation.

Ein Kinderspiel müsste es sein, zusammen mit der Atommacht Grossbritan­nien der Europäischen Union politisch Paroli zu bieten. Petra Gössi, Präsidentin der FDP und bereits eine Potenz im Populisten-Pulk, hat nach dem Brexit die Weltlage blitzartig erfasst: «Die EU ist momentan so schwach wie noch nie.»

Darum nicht abwarten! Losschlagen!

Allerdings hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel – Briten wie Schweizern eigentlich gewogen – den Brexit-Fantasten bereits Bescheid gegeben: «Wir werden sicherstellen, dass die Verhandlungen nicht nach dem Prinzip der Rosinenpickerei geführt werden.»

Das bedeutet: Der Zugang zum EU-Markt beinhaltet zwingend die Freizügigkeit des Personenverkehrs – exakt das, was die Briten nicht wollen, was die Schweizer nicht wollen.

Oder soll man glauben, der Schweiz werde gewährt, was Grossbritannien verwehrt bleibt?

Die politischen Handwerker im Bundesrat sollen nun richten, was infantile Berserker dem Land beschert haben, und die Masseneinwanderungs-Initiative in europapolitische Realität umsetzen.

Es wäre die Quadratur des Kreises.

Doch so sind die Populisten: Sie hetzen, hassen, höhnen! Was daraus resultiert, überlassen sie den Verantwortungsethikern.

In London hat Brexit-Polemiker Boris Johnson bereits die Segel gestrichen: Er weigert sich, das Staatsschiff durch die Stürme zu navigieren, die er selber ­heraufbeschworen hat.

Dem Bundesrat ist deshalb Glück zu wünschen für die bevorstehenden Monate. Das Kollegium kann nur tun, was zu tun ist. Das ist wenig. Es passt tatsächlich nichts so richtig zusammen: die Migrationspolitik nicht zur Wirtschaftspolitik und beide nicht zur Aussenpolitik, denn die Passform für alles ist und bleibt die Personenfreizügigkeit der Europäischen Union.

Zaubern kann der Bundesrat nicht. Die Regierung in der Bundeskuppel – ratlos.

Ratlos darf sie sein. Es ist ein Zeichen von Ehrlichkeit.

Inspiriert sind dieser Tage allein die Kindsköpfe.

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