Gesetzt den Fall, es verhielte sich alles so, wie wir es doch von Herzen wĂŒnschen, dass nĂ€mlich Joseph Blatter nichts zu tun hat mit den Korruptions-KalamitĂ€ten der Fifa, dass also unser aller Sepp unschuldig ist: Was wĂ€re dann?
Dann wĂ€re der Kopf des Wallisers von Weltruf gerade richtig fĂŒr das PortrĂ€t auf der 1000-Franken-Note, wo gegenwĂ€rtig noch ein Abbild des eminenten Kulturhistorikers Jacob Burckhardt (1818â 1897) prangt.
FĂŒr solch hohe Ehre sprĂ€che vor allem die verfolgte Unschuld aus der Fifa-Zentrale selbst: der gottesfĂŒrchtige Fussball-FĂŒhrer von Visp. Unser wertvollster Geldschein wĂ€re auch deshalb der angemessene Ort fĂŒr dessen Verewigung, weil die Bekanntheit des Walliser Arbeitersohnes in engstem Zusammenhang steht mit Millionen Franken oder Dollar oder Euro, die rund um ihn oder doch wenigstens knapp an ihm vorbei in viele Weltteile geflossen sind.
Sepp Blatter, der lautere Unschuldige unter lauter Schuldigen: Steht er mit seinem Schicksal nicht symbolisch fĂŒr die Schweiz?
Es ist noch gar nicht so lange her, da sollte sich, wie der damalige Bundesrat Hans-Rudolf Merz siegesgewiss verkĂŒndete, die Welt am Bankgeheimnis die ZĂ€hne ausbeissen; kurz darauf hat sich die Schweiz an der US-Justiz die ZĂ€hne ausgebissen. Die Parallele ist frappierend: Auch am ewigen Fifa-PrĂ€sidenten sollte sich die Welt die ZĂ€hne ausbeissen, wie Blatter, der Unbeirrbare, seinen Fussball-Freunden beharrlich einblĂ€ute. Vier Tage nach seiner Wahl hat er sich nun seinerseits die ZĂ€hne an der US-Justiz ausgebissen.
Hat sich nicht der ganze Erdball gegen die Schweiz verschworen? Steht die Eidgenossenschaft nicht am Pranger als das Land, dessen Name notorisch aufscheint, wenn irgendwo auf dem Globus Finanz- oder Steuerskandale verhandelt werden? Und wird diese Kampagne nicht vor allem von den USA vorangetrieben? Wie ja nun auch der Feldzug gegen Joseph Blatter?
Ja, Sepp ist die Schweiz!
Denn wie in seiner Fifa fliessen auch in die Schweiz und ĂŒber die Schweiz Ströme fragwĂŒrdiger Finanzen aus zahllosen Quellen â und wir können nichts dafĂŒr. Genauso wenig wie der Weltfussball-Schweizer in seinem flaggengeschmĂŒckten Reich am ZĂŒrichberg.
Die ganze garstige Gegenwart unseres Landes grĂŒndet auf unschuldigem Geld, das wĂ€hrend Generationen durch Schweizer Banken gerettet wurde: vor der Gier fremdlĂ€ndischer Steuerbehörden.
Gerettet durch unser Gesetz, das der wĂŒtenden Welt wegen nun nicht mehr gelten soll, nicht mehr gelten darf: das Bankgeheimnis â der Kern dieser ganz besonderen Schweizer Form von HumanitĂ€t.
Die «Neue ZĂŒrcher Zeitung» (NZZ) forderte noch 2009 «Sympathie oder zumindest MitgefĂŒhl» fĂŒr SteuerflĂŒchtlinge, «diese bemitleidenswerten Geschöpfe».
SteuerbetrĂŒger als FlĂŒchtlinge, Geld als Geschöpf, als Ur-Figur des HilfsbedĂŒrftigen, dem wir Zuflucht bieten â dem wir die globale Geld-Geltung unserer Gebirgsheimat verdanken.
Ist es die Schuld der Schweizer, dass andere LÀnder Gesetze haben, welche die «Kapitalflucht zur Notwehr» machen, wie der streitbare Privatbankier und Fluchthelfer Konrad Hummler zu klagen pflegte?
Wir sind nicht schuldig, nein.
Wir sind nur anders.
Und so gehört es ebenfalls zu unserer Kultur, einen Banklobbyisten zum Bundesanwalt zu kĂŒren. Und einen Banker aus den höchsten RĂ€ngen einer Skandalbank zum Chef der Finanzmarktaufsicht.
Solche Dinge geschehen nun mal â damit ja nichts passiert.
Den Weltmedien fiel zur Fifa der plumpe Begriff Mafia ein. Dies aber ist die Fussball-Weltmacht ganz und gar nicht. Denn bei der Mafia ist der Pate der Oberschurke. Bei der Fifa hingegen ist der Pate der gute Hirte â der freilich nicht stĂ€ndig und Tag und Nacht die ganze Herde im Auge behalten kann.
Ganz genau so steht es um die Fifa-Nation Schweiz: Auch sie kann nicht stÀndig und Tag und Nacht im Auge behalten, wer bei ihr ein und aus geht.
Wollte man dies, wĂŒrde es ja bedeuten: Gesetze gegen die Korruption, die greifen; StaatsanwĂ€lte, die eingreifen; Politiker, die begreifen.
Die Schweiz, ein Staat wie andere auch? Undenkbar.
Wir sind wir.
Solch stolzer Selbstsicht entspricht die EntschÀrfung eines Gesetzes gegen Korruption durch den StÀnderat, wie sie dieser Tage beschlossen wurde.
Was sogar der NZZ zu viel war â und zu wenig: «Die rechts-bĂŒrgerliche Mehrheit hat sich entschieden, die Schweizer Vetterliwirtschaft zu schĂŒtzen, statt ein Zeichen fĂŒr mehr Transparenz zu setzen und das durch Korruptionsskandale befleckte internationale Image der Schweiz zu korrigieren.»
Kein Zeichen ist auch ein Zeichen: Da wird die westliche Welt wohl wieder was zu wettern haben.
Die Schweiz, ein Staat von Schurken? Nein!
Ein Staat fĂŒr Schurken.