Frank A. Meyer
Sepps Schweiz

Publiziert: 07.06.2015 um 10:17 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:43 Uhr

Gesetzt den Fall, es verhielte sich alles so, wie wir es doch von Herzen wünschen, dass nämlich Joseph Blatter nichts zu tun hat mit den Korruptions-Kalamitäten der Fifa, dass also unser aller Sepp unschuldig ist: Was wäre dann?

Dann wäre der Kopf des Wallisers von Weltruf gerade richtig für das Porträt auf der 1000-Franken-Note, wo gegenwärtig noch ein Abbild des eminenten Kulturhistorikers Jacob Burckhardt (1818– 1897) prangt.

Für solch hohe Ehre spräche vor allem die verfolgte Unschuld aus der Fifa-Zentrale selbst: der gottesfürchtige Fussball-Führer von Visp. Unser wertvollster Geldschein wäre auch deshalb der angemessene Ort für dessen Verewigung, weil die Bekanntheit des Walliser Arbeitersohnes in engstem Zusammenhang steht mit Millionen Franken oder Dollar oder Euro, die rund um ihn oder doch wenigstens knapp an ihm vorbei in viele Weltteile geflossen sind.

Sepp Blatter, der lautere Unschuldige unter lauter Schuldigen: Steht er mit seinem Schicksal nicht symbolisch für die Schweiz?

Es ist noch gar nicht so lange her, da sollte sich, wie der damalige Bundesrat Hans-Rudolf Merz siegesgewiss verkündete, die Welt am Bankgeheimnis die Zähne ausbeissen; kurz darauf hat sich die Schweiz an der US-Justiz die Zähne ausgebissen. Die Parallele ist frappierend: Auch am ewigen Fifa-Präsidenten sollte sich die Welt die Zähne ausbeissen, wie Blatter, der Unbeirrbare, seinen Fussball-Freunden beharrlich einbläute. Vier Tage nach seiner Wahl hat er sich nun seinerseits die Zähne an der US-Justiz ausgebissen.

Hat sich nicht der ganze Erdball gegen die Schweiz verschworen? Steht die Eidgenossenschaft nicht am Pranger als das Land, dessen Name notorisch aufscheint, wenn irgendwo auf dem Globus Finanz- oder Steuerskandale verhandelt werden? Und wird diese Kampagne nicht vor allem von den USA vorangetrieben? Wie ja nun auch der Feldzug gegen Joseph Blatter?

Ja, Sepp ist die Schweiz!

Denn wie in seiner Fifa fliessen auch in die Schweiz und über die Schweiz Ströme fragwürdiger Finanzen aus zahllosen Quellen – und wir können nichts dafür. Genauso wenig wie der Weltfussball-Schweizer in seinem flaggengeschmückten Reich am Zürichberg.

Die ganze garstige Gegenwart unseres Landes gründet auf unschuldigem Geld, das während Generationen durch Schweizer Banken gerettet wurde: vor der Gier fremdländischer Steuerbehörden.

Gerettet durch unser Gesetz, das der wütenden Welt wegen nun nicht mehr gelten soll, nicht mehr gelten darf: das Bankgeheimnis – der Kern dieser ganz besonderen Schweizer Form von Humanität.

Die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) forderte noch 2009 «Sympathie oder zumindest Mitgefühl» für Steuerflüchtlinge, «diese bemitleidenswerten Geschöpfe».

Steuerbetrüger als Flüchtlinge, Geld als Geschöpf, als Ur-Figur des Hilfsbedürftigen, dem wir Zuflucht bieten – dem wir die globale Geld-Geltung unserer Gebirgsheimat verdanken.

Ist es die Schuld der Schweizer, dass andere Länder Gesetze haben, welche die «Kapitalflucht zur Notwehr» machen, wie der streitbare Privatbankier und Fluchthelfer Konrad Hummler zu klagen pflegte?

Wir sind nicht schuldig, nein.

Wir sind nur anders.

Und so gehört es ebenfalls zu unserer Kultur, einen Banklobbyisten zum Bundesanwalt zu küren. Und einen Banker aus den höchsten Rängen einer Skandalbank zum Chef der Finanzmarktaufsicht.

Solche Dinge geschehen nun mal – damit ja nichts passiert.

Den Weltmedien fiel zur Fifa der plumpe Begriff Mafia ein. Dies aber ist die Fussball-Weltmacht ganz und gar nicht. Denn bei der Mafia ist der Pate der Oberschurke. Bei der Fifa hingegen ist der Pate der gute Hirte – der freilich nicht ständig und Tag und Nacht die ganze Herde im Auge behalten kann.

Ganz genau so steht es um die Fifa-Nation Schweiz: Auch sie kann nicht ständig und Tag und Nacht im Auge behalten, wer bei ihr ein und aus geht.

Wollte man dies, würde es ja bedeuten: Gesetze gegen die Korruption, die greifen; Staatsanwälte, die eingreifen; Politiker, die begreifen.

Die Schweiz, ein Staat wie andere auch? Undenkbar.

Wir sind wir.

Solch stolzer Selbstsicht entspricht die Entschärfung eines Gesetzes gegen Korruption durch den Ständerat, wie sie dieser Tage beschlossen wurde.

Was sogar der NZZ zu viel war – und zu wenig: «Die rechts-bürgerliche Mehrheit hat sich entschieden, die Schweizer Vetterliwirtschaft zu schützen, statt ein Zeichen für mehr Transparenz zu setzen und das durch Korruptionsskandale befleckte internationale Image der Schweiz zu korrigieren.»

Kein Zeichen ist auch ein Zeichen: Da wird die westliche Welt wohl wieder was zu wettern haben.

Die Schweiz, ein Staat von Schurken? Nein!

Frank A. Meyer.
Foto: Antje Berghaeuser

Ein Staat für Schurken.

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