Frank A. Meyer
Partei auf der Couch

Publiziert: 16.08.2015 um 11:22 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 19:31 Uhr
Von Frank A. Meyer

Haben Parteien eine Seele? Die SVP hat eine.

Dieser verblüffende Tatbestand äussert sich vorwiegend in seelenvoller Abneigung, in Wahlkampfzeiten gar in seelenvollem Hass: gegen Brüssel und gegen Flüchtlinge, gegen fremde Richter und gegen die Classe politique, gegen Geisteswissenschaftler und gegen Statistiker.

Man kann getrost sagen: gegen die Welt, wie sie ist.

Natürlich lässt sich nicht ausschliessen, dass die SVP-Seele auch liebt. Jedenfalls erhebt sie diesen Anspruch: das Vaterland zu lieben wie niemand sonst, also ganz allein Partei des wahren und echten und unnachahmlichen Patriotismus zu sein.

So gesehen beansprucht die SVP die Schweiz als ihren Besitz.

Und so gesehen ist die SVP auch eine Partei für den Seelendoktor, besser bekannt unter einem Begriff, der in diesem Zusammenhang provozierend wirken muss, der besseren Verständlichkeit halber aber leider nicht unterdrückt werden darf: Psychiater.

Die SVP – ein Fall für den Psychiater?

Weil diese Zeilen ganz und gar der Partei­seele gewidmet sind, sollen sie auch liebevoll ausfallen. Darum sei gesagt: Es geht einzig und allein um das Verstehen der Schweizerischen Volkspartei, also darum, was sie im Innersten antreibt. Gerade im Trubel des Wahlkampfes kann dies hilfreich sein, für beide Seiten: Wahlkämpfer wie Wähler.

Schliesslich handelt diese Seelensuche von der grössten Partei der Schweiz. Dazu hat das Volk sie gemacht. Aus tiefster Seele. Also geht es hier auch um die Volksseele.

Wie dieser Tage bekannt wurde, will die SVP das Bundesamt für Statistik massiv reduzieren. Es sei «höchste Zeit, die überteuerte Bürokratiefestung zu schleifen», wie SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz der verdutzten Öffentlichkeit zu erläutern beliebte.

Ferner will die SVP die Geistes- und Sozialwissenschaften an den Universitäten hal­bieren, würden doch heutzutage «viel zu viele Psychologen, Ethnologen, Soziologen, Historiker und Kulturwissenschaftler» ausgebildet, wie ebenfalls der allzeit adrenalingetränkte Adrian Amstutz klagend kon­statierte.

Sind diese beiden Forderungen nun nichts als die jüngsten Spasmen einer seelisch leicht zu erschütternden Partei? Oder steckt mehr dahinter?

Bei aller Achtsamkeit, die Analyse nicht zu weit respektive tief zu treiben, muss doch festgehalten werden: Die Abneigung gegen Statistiken und die Abneigung gegen Geisteswissenschaften stehen in inniger Beziehung zueinander.

Die Statistiken fassen die Wirklichkeit in Zahlen. Sie belegen beispielsweise, dass die Schweiz nicht schon «bald eine Million Muslime» beherbergen muss, wie die SVP gern behauptet.

Die Geisteswissenschaften erklären die Wirklichkeit. Sie ergründen beispielsweise die Ursachen für Kulturkonflikte mit Fremden, Flüchtlingen und Migranten.

Ja, Fakten und ihre Analyse befreien aus dem Getümmel seelischen Aufruhrs. Sie machen sichtbar, worum es jenseits aller Emotionen tatsächlich geht. Sie verdeutlichen die wirkliche Wirklichkeit.

Sigmund Freud, Erfinder der Psychoanalyse, unterschied zwischen dem «Es» und dem «Ich».

Im Es rumoren Triebe und Af­fekte wie Hass und Liebe. Sie bestimmen das Handeln, ohne dass dies dem Handelnden bewusst wird.

Das Ich hebt das unbewusste Rumoren ins Bewusstsein. Realität wird wahrgenommen und verarbeitet, seelische Konflikte lassen sich sinnvoll auflösen.

So funktioniert – grob vereinfacht – der Seelenhaushalt.

Die SVP ist eine Es-Partei. Dem Ich verweigert sie sich. Die Ich-Ebene, das differenzierte Wahrnehmen der Wirklichkeit, stört sie. Deshalb muss das Bundesamt für Statistik «geschleift» werden, deshalb müssen die Geisteswissenschaften «halbiert» werden.

Das Wahlkampflied der Partei hebt an mit der Verszeile: «Wo e Willy isch, isch ou e Wäg.»

Das Mundartsätzchen ist zwar dem SVP-Wahlmaskottchen in Gestalt des niedlichen Stoffhundes Willy gewidmet. Doch klingt es nicht bedeutungsvoller? Klingt es nicht wie ..., ja, wie Schopenhauer: «Die Welt als Wille und Vorstellung», das Hauptwerk des deutschen Philosophen?

Die erste Zeile des SVP-Songs ist – die Partei möge den Begriff verzeihen – Geisteswissenschaft in kleinster Verkleinerung! Aus dem Es heraus, aus tiefster Seele, also völlig unbewusst wird ein Weltdenker politisch intoniert:

Die Welt als Wille – gegen alle Fakten; die Welt als Vorstellung – gegen alle Wirklichkeit.

Der deutsche Philosoph meinte es etwas anders. Doch was solls! Für die Schweiz hat zu gelten, was für die SVP gilt.

Schopenhauer als Gassenhauer.

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