Frank A. Meyer
Nein, Erdogan ist kein Nazi

Publiziert: 02.04.2017 um 12:07 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 10:50 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist
Frank A. Meyer

Die Pistole zielt auf die Schläfe des Präsidenten: «Kill Erdogan». Das Transparent, das am vorletzten Samstag bei einer Demo in Bern zu sehen war, ist ein Aufruf zum Mord.

Zum Tyrannenmord?

Unter Tyrannenmord versteht man allgemein die legitime Tötung eines Herrschers, dessen Regime als un­gerecht empfunden wird, weil er seine Untertanen gewaltsam unterdrückt.

Recep Tayyip Erdogan ist vom Volk gewählt. Das Volk soll ihm jetzt in einem Referendum mehr Macht gewähren: masslose Macht über Parlament und Rechtsstaat.

Seit dem Militärputsch im Juni 2016 lässt Erdogan Tausende Beamte, vor allem  Richter und Staatsanwälte, aus ihren Ämtern entfernen und verhaften. Der Rechtsstaat ist durch den Ausnahmezustand suspendiert. Bürgerinnen und Bürger sind Freiwild für Polizei und Geheimdienste, die Medien gleichgeschaltet.

Der «Sultan» nutzt seine Allmacht, um allen, die er als Feinde betrachtet, durch Agenten nachzustellen, auch im Ausland, sogar in der Schweiz.

Wo immer Türken freien Geistes leben: Sie sollen Angst vor Erdogan und seiner Rache haben. Europa soll Angst haben. Die Welt soll Angst haben. Und wer nicht kuscht vor dem grossen Angstmacher, den beschimpft er als Nazi, dem wirft er Nazimethoden vor – zum Beispiel dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte, zum Beispiel der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Ist das zum Lachen? Nein, zum Lachen ist das nicht. Ist es zum Weinen? Auch nicht. Man kann einfach sachlich feststellen: So wie sich der Herrscher vom Bosporus gibt, so ist er auch.

Wie ist er? Wie Hitler?

Mit seinen Hitler- und Nazivergleichen hat er den historisch heiklen Bezug selbst provoziert. Gibt es daran etwas, das einleuchten könnte?

In der Tat: Erdogans Machtergreifung erweckt den Eindruck, als habe er sich Deutschlands Überwältigung durch Hitler zum Vorbild genommen.

Erdogan nutzt den Putsch, um seine früheren Mitstreiter in der Gülen-Bewegung auszuschalten. Hitler nutzte einen angeblich drohenden Putsch, um seinen  engen Komplizen Röhm mitsamt dessen SA-Truppen auszuschalten.

Erdogan hat sich mit der Niederschlagung der Revolte die Armee unterworfen, die bislang als mächtige Hüterin der säkularen Atatürk-Verfassung galt. Hitler sicherte sich durch die Beseitigung Röhms die Loyalität der Reichswehr, die das paramilitärische Auftreten der Braunhemden als Konkurrenz betrachtete.

Erdogan nutzt den Militärputsch, um die absolute Macht zu erringen: durch ein Präsi­dialsystem, das ganz auf ihn zugeschnitten ist. Rechtsstaat und parlamentarische Demokratie werden seinem Willen unterworfen.

Hitler nutzte den Reichstagsbrand, den Nazis gelegt hatten, um sich mit einem «Ermächtigungsgesetz» zum allgewaltigen Führer des Deutschen Reiches aufzuschwingen.

Ja, Erdogans Präsidialsystem ist ein Ermächtigungsgesetz.

Seine Machtübernahme trägt also durchaus Züge, die geschichtssensible Zeitgenossen an die Machtübernahme der Nazis in Deutschland denken lassen.

Ist Erdogan ein Nazi?

Nein! So verführerisch es auch sein mag, seine Nazivorwürfe mit Nazivorwürfen zu kontern – der historische Vergleich trifft nicht.

Erdogan ist ganz und gar ein Despot im Geiste des Islam. Ein islamischer Machtpolitiker. Ein Islamist.

Alles Handeln des Machtmenschen Erdogan ist islamisch und religiös-totalitär. Seine Hassausbrüche sind deshalb nicht als Kontrollverlust zu deuten, wie schrecklich-lächerlich oder lächerlich-schrecklich sie in den Ohren von Demokraten auch klingen mögen.

Was der Despot aus Istanbul der verwunderten Weltöffentlichkeit in diesen Tagen vorführt, entspricht der Doktrin des Dschihad, wonach der Zweck jedes Mittel heiligt, wonach das Opfer der dschihadistischen Aggression zum Täter erklärt werden muss – bis es diese völlig verquere Rolle schliesslich schuld­bewusst akzeptiert. Letzteres ist dann der Sieg.

Diesen Regeln der ideologischen Kriegsführung folgt Erdogan geradezu meisterhaft – und hat Erfolg, herrscht doch in der europäischen Politik grosse Bereitschaft, die Schuld an der Zerrüttung des Verhältnisses zur Türkei auf sich zu nehmen.

Nicht minder gross ist die Bereitschaft, Erdogans Aggression mit Beschwichtigungen zu begegnen – sei es in der EU-Zentrale in Brüssel, im Berliner Kanzleramt oder im Schweizer Aussenministerium, dessen Sprecher verkündete: «Wir sind an einer Eskalation der Situation nicht interessiert.»

Eskalation? Erdogan hat die Eskalation bereits auf die Spitze getrieben, und zwar mit folgendem Satz: «Wenn Europa seinen Weg so fortsetzt, kann sich kein Europäer in irgendeinem Teil der Welt mehr sicher auf den Strassen bewegen.»

Der Islamist auf dem Präsidentensessel der Türkei, der sich anschickt, Diktator zu werden, bedroht die Europäer mit physischer Gewalt.

Erdogans Satz ist ein Satz des Dschihad.

Was wäre, hätte ein militanter islamistischer Migrant diese Drohung ausgestossen? Er würde als «Gefährder» eingestuft. Er würde zur Verhaftung ausgeschrieben. Er würde international gesucht. Er würde verurteilt.

Im Übrigen bleibt richtig, dass die Verantwortlichen des Transparents mit der Pistole, die auf Erdogan zielt, ihrer gerechten Strafe zuzuführen sind.

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