Fussball ist ein Spiel, das sich bisweilen anfühlt wie ein kleiner Krieg. Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri, beseelte Fussballer, verkörpern beide Rollen: den Spieler und den Krieger. Als Spieler schossen sie Tore für die Nationalmannschaft, als Krieger zeigten sie im Triumph die Geste des doppelköpfigen Adlers, wie er auf der Flagge Albaniens zu sehen ist. Es war eine aggressive Verhöhnung der serbischen Fans.
Xhaka und Shaqiri spielen für die Schweiz. Als Schweizer Bürger. Und als Kosovo-Bürger. Sie besitzen beide Pässe – Doppelpass-Bürger.
Das ist alles. Ist das alles?
Leider nicht: Der Schweizerische Fussballverband zieht in Erwägung, keine Doppelbürger mehr für die Nationalmannschaft spielen zu lassen. Das Bekenntnis der Kicker zur Schweiz soll eindeutig sein und ungetrübt, was sich natürlich auch im inbrünstigen Singen der Nationalhymne auszudrücken hat – am Bildschirm von jedem Bürger zu überprüfen.
Setzt der Schweizerische Fussballverband seine Idee vom Einpass-Schweizer durch, heisst das künftig für die Kicker: Schweizer sollt ihr sein, sonst nichts, im Übrigen dürft ihr selbstverständlich weiterhin weltweit in Klubs fussballerisch glänzen, auf dass auch das eine, ungeteilte Schweizerland vom globalen Glanz seiner Gladiatoren etwas abbekomme.
Man sollte von Fussballspielern nicht zu viel erwarten: Sie sind jung und meist noch bildungsfern; sie haben genug zu tun mit ihrer Körperkunst, dabei natürlich auch mit dem Kopf, allerdings vornehmlich zur Verrichtung von Kopfbällen. Das alles vollbringen Xhaka und Shaqiri trefflich und treffsicher. Was will man mehr? Abgeklärtes Verhalten, politische Sensibilität gar – in der Euphorie eines Goals, wenn die Emotionen völlig unkontrolliert in den Kriegerkopf schiessen?
Wie toben und jubeln denn die Fanmassen im Stadion? Beim Public Viewing? Und erst die Verrückten vor dem Bildschirm zu Hause, unbeobachtet und darum völlig entfesselt? Welcher Bewohner dieser Fussballschweiz kennt sich noch, wenn Xhaka oder Shaqiri ein Tor schiessen? Doppelpass-Bürger?
Ein Tor für die Schweiz ist ein Schweizer Tor! Toor!! Tooor!!!
Auch vom Schweizerischen Fussballverband sollte man nicht zu viel erwarten. Er verwaltet eine simple Welt, wie sie der Sportart, die Milliarden Menschen in ihren Bann schlägt, eben entspricht. Entsprechend ist auch die Idee, Doppelbürger von der Nationalmannschaft auszuschliessen, eine Simpel-Idee.
Harmlos indessen ist sie nicht: Dem Doppelbürger würde damit ein Recht aberkannt – die Ausübung seines Berufs an der Spitze seiner Nation. Denn Bürger ist Bürger. Auch mit Doppelpass. Auch im Fussball. Halbe Bürger gibt es nicht. Die Idee des Schweizerischen Fussballverbandes ist deshalb nicht nur schlicht, sie ist schlicht abwegig: Wer einen Schweizer Pass besitzt, ist Schweizer. Ohne jeden Abstrich.
Oder doch nicht? Bereits hat der Populistenführer sein Patriarchenhaupt geschüttelt: «Wenn sie eingebürgert sind, sind sie deswegen noch nicht Schweizer.»
Der Patriot aller Patrioten weiss, wovon er redet, kann er sich dabei doch auf seine Familiengeschichte stützen: Seine Vorfahren wanderten aus Württemberg in die Schweiz ein und erhielten 1861 das Bürgerrecht von Schattenhalb. Ihr berühmtester Abkömmling hat die Königsdisziplin des untadeligen und porentiefen und waschechten Schweizerseins erfunden. Mehr noch: Er hat die Schweizer Mentalität um eine Neuerung bereichert, die der helvetischen Republik über Generationen hinweg völlig fremd war: den Führerkult.
Doch nicht nur von rechts, auch von links ist zu hören, was der Nation im Fussball frommt: Jacqueline Fehr, sozialdemokratische Regierungsrätin des Kantons Zürich, ruft zum Widerstand: «Doppelbürger sollen streiken!» Denn dann, so die gute Frau ganz ausser sich, «merken vielleicht die Nationalisten im Fussball und anderswo, dass es ohne euch nicht geht».
Wo die Linke recht hat, hat sie recht: Fussballerisch wäre die Nation ohne Doppelbürger fatal geschwächt. Doch ums Recht der Doppelbürger wie Xhaka und Shaqiri geht es Fehr überhaupt nicht. Sie hat die Bürger-Gleichheit lange vor dem Schweizerischen Fussballverband relativiert. Mit folgendem Vorschlag: 18- bis 40-Jährige sollten bei Wahlen und Abstimmungen zwei Stimmen erhalten, 40- bis 65-Jährige noch anderthalb, über 65-Jährige nurmehr eine Stimme. Die Genossin mag Fussballfan sein, Bürgerrechtlerin ist nicht. Auch sie hat die Schweizer Politik um eine bisher unbekannte Kategorie bereichert: Die Linke rechts aussen.
Derart verwirrlich sind die Verhältnisse im zentralen Alpenland Europas. Wie sollten unsere Mit-Schweizer Xhaka und Shaqiri da noch durchblicken?
Die nächste Havarie des auf irritierende Weise ungesicherten Schweiz-Bewusstseins steht gerade bevor: Roger Federer spielt in Wimbledon, könnte dortselbst sogar den Pokal holen. Für die Schweiz!
Für die Schweiz?
Roger, unser aller Champion, unser sympathischster, unser geliebtester Schweizer überhaupt: ist Doppelbürger! Mit südafrikanischem Pass.