Frank A. Meyer
Israel

Publiziert: 09.08.2015 um 10:00 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 13:27 Uhr
Von Frank A. Meyer

Nach der Messerattacke eines Ultraorthodoxen auf die Jerusalemer Gay-Parade erlag vergangenen Sonntag ein Schulmädchen seinen Verletzungen. Beim Brandanschlag fanatisierter jüdischer Siedler auf das Haus einer Palästinenserfamilie starb kurz zuvor im Westjordanland ein Kleinkind, 18 Monate alt; seine Eltern und ein Vierjähriger wurden schwer verletzt.

Terror durch Israelis. In Israel.

Ja, das gibts! Und es fällt ganz besonders auf.

Der jüdische Staat ist die Zivilisations-Oase in der nahöstlichen Zivilisations-Wüste. Israels Nachbarn sind Despo­tien und Diktaturen. Das Land, ein Drittel kleiner als die Schweiz, ist umbrandet von Gewalt und Massakern, von Krieg und Bürgerkrieg.

Die westliche Welt erwartet von Israel, dass es sich verhält wie die westliche Welt, zu welcher der Judenstaat als Enklave von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit doch gehört.

In Tel Aviv gingen Zehntausende Israelis gegen den Terror anderer Israelis auf die Strasse. Der frühere Staatspräsident Shimon Peres fand für seine Empörung deutliche Worte: «Wer die Gay-Parade eine Parade der Tiere nennt, sollte nicht überrascht sein, wenn ein Messer in ein 17-jähriges Mädchen gestossen wird. Wer gegen arabisch-israelische Bürger hetzt, sollte nicht überrascht sein, wenn Feuer an Kirchen und Moscheen gelegt wird und wenn zuletzt ein Baby lebendigen Leibes verbrennt.»

Der amtierende Staatspräsident Reuven Rivlin sagte in Jerusalem: «Flammen haben unser Land umzingelt, Flammen der Gewalt, des Hasses, eines falschen, verzerrten Glaubens. Flammen, die das Blutvergiessen im Namen der Thora, im Namen des Gesetzes, im Namen der Moral, im Namen der Liebe für das Land Israel erlauben. Bürger Israels, ein jüdisches und demokratisches Israel braucht heute einen Weckruf.»

In Israel findet statt, was in einem demokratischen Rechtsstaat stattzufinden hat nach Gräueltaten, die Ausfluss sind von Hass und Hetze: Proteste, deutliche Worte, Druck auf die Regierung, Manifestationen von Scham und Selbstkritik.

Ja, das gibts! Westliche politische Kultur inmitten politischer Unkultur.

Erleben wir in der arabischen Welt einen ähnlichen Aufschrei gegen arabischen Terror? War die Weltöffentlichkeit je Zeuge islamischer Empörung über islamische Gräueltaten gegen den jüdischen Staat? Gehen Muslime zu Zehntausenden auf die Strasse, weil sie es nicht hinnehmen wollen, dass jüdische Menschen, Kinder, Frauen, Männer, durch Muslime umgebracht werden?

Wir müssen etwas übersehen haben.

In Tel Aviv erklärte Oppositionschef Jitzchak Herzog: «Terror ist Terror, Punkt, Schluss. Terroristen sind Terroristen, ungeachtet dessen, ob sie Muslime oder Juden sind.»

Wo ist der arabische, der muslimische Oppositionschef, der solche Worte findet gegen Raketen auf Israel, gegen antijüdischen Terror, gegen die rhetorischen Vernichtungs­fantasien, die Israel das Recht auf Existenz absprechen?

Wir müssen etwas überhört haben.

So aber lebt Israel: seit drei Generationen in seiner Existenz bedroht, im Krieg oder im latenten Kriegszustand. Und wenn es sich wehrt, wie im jüngsten Gaza-Krieg, wird es verurteilt, als sei es die Schweiz, die ohne Begründung über Baden-Württemberg herfällt.

Was wäre die Schweiz, würde sie seit drei Generationen bedroht, mit Raketen beschossen, ihre Bürger in täglicher Terrorgefahr?

Wäre die Schweiz dann noch ein demokratischer Rechtsstaat, des­sen Bürger und Politiker den Terror eigener Landsleute bekämpfen und ächten?

Ja? Sind wir ganz sicher, dass die Schweiz so wäre?

In Berlin gingen soeben die Europäischen Makkabi-Spiele zu Ende. Den Teilnehmern an diesem jüdischen Sportfest wurde empfohlen, in bestimmten Berliner Quartieren auf die Kippa, die religiös-traditionelle Kopfbedeckung, zu verzichten. Als Vorsichtsmassnahme gegen anti­semitische Attacken durch islamische Migranten.

Während des Gaza-Kriegs grölten muslimische Demonstranten anti­semitische Parolen: «Schlachtet die Juden», «Brenn, Jude», «Juden ins Gas» – gesehen, gehört in Berlin, drei Generationen nach dem Holocaust! Die mitmarschierenden Linken liessen die Muslime gewähren, die Polizei ebenso.

Die zivilisierte Welt erwartet von Israel auch fürderhin westliche Sittlichkeit, welche demokratische Verhältnisse ebenso umfasst wie Rechtsstaatlichkeit, Selbstkritik und Selbstkorrektur – alles durch eine unbestrittene, eine in Frieden le­bende Nation leicht zu erfüllende Forderungen.

Israel ist keine in Frieden lebende Nation.

Israel erfüllt diese Forderungen trotzdem!

Israel lebt damit, dass Muslime in der offenen westlichen Gesellschaft den «Kuds-Tag» begehen. Al Kuds ist der arabische Name für Jerusalem. Es ist der Tag der Demonstra­tionen für die Zerstörung des jüdischen Staates.

So sieht die Normalität Israels aus.

Angela Merkel sprach jüngst mit einem palästinensischen Mädchen, das vor den Fernsehkameras in Tränen ausbrach, weil es mit seiner Familie in Deutschland bleiben möchte, die Bundeskanzlerin ihm dies aber nicht versprechen konnte. Anschliessend erklärte die niedliche Reem Sahwil den Journalisten, wie sie Israel sieht: «Meine Hoffnung ist, dass Israel irgendwann nicht mehr da ist, sondern nur noch Palästina.»

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