Es begab sich aber zur Adventszeit im Jahre des Herrn 2018, also just vor dem Christfest, dass die Landesregierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, auch Bundesrat genannt, in Ungnade fiel.
Bei wem fiel der Bundesrat, ansonsten doch ein Gremium des helvetischen Gemeinwohlgefallens, in Ungnade?
Bei der Glaubenskongregation, die sich Tag und Nacht bemüssigt fühlt und deshalb auch befleissigt, urbi et orbi das richtige Denken zu verbreiten: den Medien. Und damit natürlich auch bei deren Priestern und Messdienern: den Journalisten.
Was ist geschehen? Es ist geschehen, was die Medien am liebsten haben: Zwei neue Mitglieder der Landesregierung wurden gewählt – zwei Frauen.
Welch ein Glück! Hosianna!
Die ganz normale Wahl wurde schon vor deren Vollzug zur ganz und gar unnormalen Wahl stilisiert. Als wären Frauen in der Politik nicht auch nur Männer. Was natürlich umgekehrt ebenso zutrifft.
Der Bundesrat entsprach dieser Gleichstellung unmittelbar nach der Wahl, mit einer Frau im Verteidigungsdepartement: Viola Amherd als Herrscherin über Panzer, Kampfflugzeuge, Luftabwehrraketen und Feldküchen; die stille Walliserin als Befehlshaberin über laute Obristen und Generäle.
Auch das ganz herrlich – und gar nicht dämlich.
Doch die Glaubenskongregation reagierte irritiert bis ungnädig: «Ein merkwürdiger Bundesrat», befand die «Aargauer Zeitung»; «diese Rochade überzeugt nicht», tadelte der Zürcher «Tages-Anzeiger»; «Fahnenflucht» warf der BLICK dem bisherigen Chef der Landesverteidigung vor; überhaupt gehe es im Bundesrat nach der schäbigen Devise «Ich first» zu und her, konstatierte staatstragend ebenfalls der BLICK. Seufzend besorgt enthüllte die Chefredaktorin des «Tages-Anzeigers» den erschreckenden Umfang der Kalamität: «Die Methode Bundesrat stösst an ihre Grenzen.»
Wenn es nun aber tatsächlich so schlimm stünde, müsste die «Methode Bundesrat» wohl grundstürzend geändert werden. Was aber ist diese Methode?
Es ist die Methode von sieben Gleichen, die sich zwar die praktischen Arbeitsgebiete teilen, diese Arbeitsgebiete aber gemeinsam verantworten respektive nach aussen, gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam vertreten.
Es geht da also nicht um «Leadership», wie die «Neue Zürcher Zeitung» anmahnte, sondern um kollektives Regieren – vorzugsweise sogar um kollegiales.
Nach bestem kollegialem Gewissen werden daher auch die Departemente verteilt: Wer am längsten da ist, hat die erste Wahl, wer zuletzt kommt, muss nehmen, was bleibt. So funktioniert das «System Bundesrat» – und vermeidet dadurch, in parteiliches Ringen auszuarten, was dem Geist der Kollegialität Schaden zufügen würde.
Dem Geist des Bundesrates!
Das Kollegialsystem nämlich hat sich über Generationen bewährt. Es ist zeitaufwendig, muss doch diskutiert werden, bis sämtliche Kollegen zum Konsens finden. Es ist langsam, muss doch aufgeschoben und neu erörtert werden, wenn sich der Konsens partout nicht einstellen will. Es ist rücksichtsvoll, muss doch das Volk mit seinen Strömungen und Interessen soweit möglich eingebunden werden, auf dass bundesrätliche Entscheide auch in der breiten Öffentlichkeit Wohlwollen wecken. Es ist oft pragmatisch-provisorisch, muss doch der Erkenntnis Rechnung getragen werden, wonach Regierungspolitik bald schon überholt sein kann, und zwar gemäss dem Motto: «Meister, die Arbeit ist fertig, soll ich sie gleich flicken?»
Prozessuales Regieren nennt sich diese illusionslose Praxis. Ein Handwerk, das allerdings gröblich gegen die gängige Forderung verstösst, Regierungen hätten Probleme tunlichst ein für alle Mal zu lösen – basta! Ein Anspruch, an dem in aller Welt Kabinette samt ihren Chefs scheitern.
Während der schweizerische Bundesrat bleibt.
Auch hierzulande erschallt der populäre Ruf nach einem Chef. Ersatzweise tut der jährlich neu gewählte Bundespräsident so, als sei er dieser Chef. Regieren ist schliesslich auch Theater und hat bisweilen Vorführungen nötig.
Doch der Alltag im Berner Bundesratszimmer ebnet jeden exklusiven Auftritt wieder ein, ebenso die unterschiedlichen Begabungen: Ist Guy Parmelin ein schwacher Bundesrat, der sein Militär nicht in den Griff bekam? Als Ueli Maurer Finanzminister wurde, hat man die Hände zum Gebet gefaltet. Und weil Johann Schneider-Ammann mit der Politik rhetorisch nicht zurechtkam, verzweifelten die Rechthaber in den Redaktionen.
Ja, brillant wie Alain Berset ist so mancher nicht. Auf die Nase fällt auch er. Und es spielt fürs Weitermachen keine Rolle.
Diese Regierung hält das Regieren aus.
Die Glaubenskongregation der Medien hat natürlich recht: Es könnte alles besser sein – vor allem sind Bundesräte nicht genial.
Genial ist das System.