Frank A. Meyer
Foto: Antje Berghäuser

Frank A. Meyer – die Kolumne
Fremde Herren

Publiziert: 03.03.2019 um 12:00 Uhr
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Aktualisiert: 03.03.2019 um 12:08 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Geht es um das Milliardärssöhnchen Akash Ambani und die Diamantenhändlerstochter Shloka Mehta, beide 28 Jahre alt, die in St. Moritz 100 Millionen Franken verpolterten? Nein, um das indische Brautpaar geht es nicht.

Geht es um das Elend im Heimatland der beiden, dessen Kastensystem und Regierungsversagen aussichtsloses Elend für Abermillionen bedeuten? Nein, um die Armen in Indien geht es auch nicht.

Geht es um Christian Jott Jenny, den kniefälligen Gemeindepräsidenten von St. Moritz, der das Zelt der indischen Festgesellschaft an der Spitze einer Schülergruppe betreten und dem Brautpaar mit Liedern huldigen durfte? Nein, nicht einmal um das untertänige Gehabe des lokalen Würdenträgers geht es.

Vielleicht aber geht es um diesen einen Satz aus dem Munde Jennys: «Ich bin in erster Linie für die Bevölkerung da, und diese sieht solche Feste im besten Fall aus der Arbeiterperspektive.»

Die «Arbeiterperspektive» – genau um die geht es. Präziser ausgedrückt: um die «Arbeiterperspektive» der Eidgenossen.

Denn eine solche Sicht der Dinge wird mehr und mehr zum Standard im Verhältnis der Schweizer zur globalen Geldelite, die sich unser Land als Schlaraffenland auserkoren hat: fürs Festleben und für ein schönes Leben überhaupt.

St. Moritz zählt zu den beliebtesten Zielen von Privatjets aus aller Welt. Und Leute wie jener Jenny üben willig ihre Willkommensliedchen.

Im Zürcher «Tages-Anzeiger» stand jüngst zu lesen: «Für Einheimische ist es teils unmöglich, in Jetset-Destinationen zahlbaren Wohnraum zu finden.» Laut dem Internetvergleichsdienst Comparis ist St. Moritz punkto Mieten der teuerste Nobelort der Schweiz. Teurer noch als Zürich.

Aber auch Zermatt und Verbier und Davos und weitere global gehypte Gebirgsgemeinden zählen zu den bevorzugten Oasen reicher und masslos reicher Fremder, denen die Schweizer vor allem als Zudiener begegnen: sauber, ehrlich, schnell, diskret, gefällig – wie man Domestiken nun mal gerne hat.

Da es ungerecht wäre, nur Zentren des Luxustourismus in diesem kritischen Licht zu betrachten, seien die Uferregionen des Genfer- und Zürichsees, des Zuger- und Vierwaldstättersees ebenfalls genannt, samt der dazugehörigen Kantone.

Die Schweiz als Resort – für Milliardärsmigranten.

Woher stammen die neuen Herren in unserem Land? Vorwiegend aus armen Nationen, aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Die ärmsten Armen haben die reichsten Reichen. Der Kapitalismus dieser zerrissenen Weltgegenden ist nicht zivilisiert, in der Regel korrupt, kennt kaum soziale Verpflichtung.

100 Millionen für einen Polterabend in St. Moritz: Wer schämt sich da? Nicht einmal die Schweizer, die der Prasserei zujubeln, da sie doch die Schweizer Kassen klingeln lässt.

Einst – so lang ist es noch gar nicht her – floss hauptsächlich Schwarzgeld in die Schweiz. Seit internationaler Druck das Geschäft mit den Nummernkonten beendete, kommen die Gebieter des Geldes gleich selbst und mit Gefolge: die Moguln und Potentaten, die Plünderer und Prinzen, die Protzer – sorgsam betreut von einem Heer einheimischer Juristen, Treuhänder, Finanzberater.

Wird es zum Schicksal der Schweiz, fremden Geldherren gefällig zu sein? Zum Volk von Mammon-Dienern zu mutieren? Die einst so stolzen Eidgenossen, deren Urahnen sich weigerten, den Gesslerhut zu grüssen?

Vielleicht ist es im Sinne eines selbstkritischen Blicks zurück in jene ferne Vergangenheit erlaubt, die Frage zu stellen: Was wäre gewesen, hätte Gessler dem Standort Uri Vorteile gebracht – Geldvorteile?

Natürlich ist eine solche Frage frech und vorlaut. Dennoch müsste im Zuge des neuen Geldgeistes, der gerade das Land erfasst, eigentlich an die Rehabilitierung des Habsburger Reichsvogts gedacht werden. Denn wenn auch nicht im 13. Jahrhundert, so dient er doch im 21. Jahrhundert dem innerschweizerischen Standort-Marketing – dem deutschen Dichter Schiller seis gedankt.

Eidgenossen grüssen inzwischen beflissen fremde Geldhüte.

Ja, die republikanische Schweiz, in der die Bürgerinnen und Bürger noch miteinander zu tun hatten, Arme mit Reichen, Reiche mit Armen, in den Quartieren, in den Schulen, im Militär, in den Ferienorten – diese Schweiz der stolzen Schweizer wird gerade feilgeboten.

Schönste Teile der Schweiz kommen den Schweizern abhanden.

Der Blick auf diese Schweiz wird zum Blick aus der «Arbeiterperspektive».

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