Die SVP wollte Wolodimir Selenskis Rede vor dem Schweizer Parlament verhindern. Das ist ihr nicht gelungen. Jetzt wollen ihre Parlamentsmitglieder die Video-Ansprache des ukrainischen Präsidenten am kommenden Mittwoch «schwänzen», wie Journalisten diese Weigerung salopp verharmlosen.
«Schwänzen» – das tun Kinder mit dem Schulunterricht. Die SVP jedoch ist die grösste Partei der Schweiz. Ihre National- und Ständeräte sind mächtige Frauen und Männer.
Selenskis Ansprache wollten sie mit dem Argument verhindern, sie verletze die Neutralität. Zudem mache sie das Parlament zum «Befehlsempfänger».
Nationalrat Cédric Wermuth, Präsident der Sozialdemokraten, bezeichnet den Vorgang als «moralische Bankrotterklärung» der SVP. Wie so oft geht das Geschoss des Genossen ins Leere: Einen Bankrott kann nur erklären, wer über Besitz verfügt, im vorliegenden Fall über politische Moral.
Prominente Repräsentanten dieser Partei, die seit drei Jahrzehnten als Befehlsempfängerin ihres Besitzers funktioniert, kennen nach rechts aussen keine Grenzen – keine braune Linie. Ihr peinlichster Schreihals sendete kürzlich sogar Propaganda-Selfies vom Roten Platz in Moskau, um dem Kriminellen im Kreml mit seinen Huldigungen möglichst nahe zu sein – dem Führer.
In diesem trüben Licht erscheint das aktuelle Verhalten der SVP nur konsequent: Es wäre Verrat, dem ukrainischen Churchill Wolodimir Selenski Gehör zu schenken.
Um nichts weniger als ums Zuhören geht es nämlich: um die demokratische Tugend, neugierig zu sein – auf das, was der Andersdenkende zu sagen hat. Im Falle Selenskis über die Nöte seines geschundenen Landes, das von einem entfesselten Potentaten systematisch zerbombt wird, das dieser gelernte Geheimdienstgauner militärisch zwar nicht besiegen kann, deshalb aber auslöschen möchte.
Wolodimir Selenski will eine Botschaft an die Schweizer Politik richten: die Botschaft einer Nation in höchster Not, die Botschaft eines Widerstands ohne Wankelmut, die Botschaft von der Verteidigung der Demokratie und vom Kampf um die Freiheit.
Eine Botschaft des ukrainischen Volkes an das Schweizer Volk!
Die Partei, die sich Volkspartei nennt, sich gar als Verkörperung des Volkes betrachtet, will vom Hilferuf des existenziell bedrängten Volkes der Ukraine nichts hören: Dessen Präsident soll nicht reden – und wenn er trotzdem redet, verschliessen ihre Parlamentarier die Ohren.
Demokraten?
Nein, die SVP erklärt weder ihren demokratischen noch ihren moralischen Bankrott, denn weder Demokratie noch Moral zählen zu den Kulturgütern ihrer Politik.
Wer sie wählt, kann spätestens nach dem nächsten Mittwoch nicht mehr behaupten, er hätte es nicht gewusst.