Frank A. Meyer – die Kolumne
Von China lernen?

Publiziert: 06.10.2019 um 12:00 Uhr
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Aktualisiert: 06.10.2019 um 14:28 Uhr
Foto: DUKAS
Frank A. Meyer

Zum siebzigsten Jahrestag der Machtübernahme präsentiert die Kommunistische Partei Chinas ihr Waffenarsenal – alles vom Neusten und Feinsten, am gefährlichsten die mit Atomwaffen bestückten Raketen: Sie fliegen 15'000 Kilometer weit, bedrohen also nahezu die gesamte Welt.

Wahrlich ein Fest potenter Potentaten, ein Fest im Zeichen des Phallus!

Entsprechend erregt verkündete Herrscher Xi Jinping denn auch: «Keine Macht kann jemals den Status von China erschüttern oder das chinesische Volk daran hindern, vorwärtszumarschieren!»

Vorwärts wohin? Nach Taiwan? Auf der kleinen Insel vor der chinesischen Küste dürfen die Bürger ihre Regierung frei wählen – eine Insel der Freiheit.

Der Pfahl im Fleische von Festland-China.

Ja, das kommunistische Grossreich mit 1,4 Milliarden Einwohnern auf einer Fläche von 9,6 Millionen Quadratkilometern fühlt sich herausgefordert durch 23 Millionen Taiwanesen auf 36'000 Quadratkilometern. Taiwan ist kleiner als die Schweiz. Wirtschaftlich zählt das Land – wie die Schweiz – zu den Spitzennationen der Welt. Ihren Erfolg erarbeiten die Insel-Chinesen in einem demokratischen Rechtsstaat.

Das ist die ultimative Provokation für Pekings Politkommissare. Die nämlich schicken sich gerade an, ihre Diktatur digital zu definieren: Der Bürger wird zum Gefangenen des Netzes, jede seiner Bewegungen erfasst, festgehalten und ausgewertet. Anhand der Ergebnisse bestimmen die Algorithmen der Partei den Grad der individuellen Regime-treue, wovon wiederum Privilegien wie begehrte Arbeitsplätze, Wohnungen oder Auslandsreisen abhängen.

Der Kommunismus als Digitalismus. Mit Straflagern und Folter wie zu Maos Zeiten.

Das Verhältnis zwischen China und Taiwan beschäftigt auch die Schweizer Politik. So fordert der freisinnige Nationalrat Hans--Peter Portmann vom Bundesrat einen Bericht darüber, wie Bern den «gegenseitigen Austausch verschiedenster gemeinsamer Interessen mit Taiwan» zu verbessern gedenkt. Der wäre ein Gebot der Solidarität unter kleinen demokratischen Spitzen-Wirtschaftsnationen.

Eigentlich naheliegend.

Eigentlich.

Doch SVP-Politiker warfen sich für das Diktatur-China in die Schanze – gegen das Demokratie-China: Die Führung in Peking dürfe nicht durch Sympathie-Aktionen für Taiwan vor den Kopf gestossen werden. Unter den Parlamentariern, die auf den Freisinnigen Portmann Druck auszuüben versuchten, sticht Magdalena Martullo-Blocher hervor. Sie ist als Chefin der Ems-Chemie erfolgreich im kommunistisch beherrschten China geschäftstätig.

Aus der Perspektive des eigenen Unternehmens ist die Reaktion der Blocher-Tochter verständlich. Wer beisst schon die Hand, die ihn füttert? Da muss selbstverständlich auch das Nationalratsmandat eingesetzt werden, um den Napf zu verteidigen.

Doch Martullo-Blocher geht es um mehr – um die Gesinnung. Dazu ein erstes Zitat: China sei, so Martullo, «das Land mit der kompetentesten Exekutive der Welt». Und gleich ein zweites Zitat aus ihrem Munde: «Was nützt den Europäern deren Demokratie: Da werden den Leuten Leistungen versprochen, die nicht bezahlbar sind.»

In der Tat, was nützt Demokratie, wenn sie Resultate hervorbringt, die der Patronne aus Ems nicht in den Kram passen? Was soll Demokratie überhaupt, wenn sie in der freien Gesellschaft unter freien Bürgern mühevoll und bedachtsam aushandeln muss, was das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas ebenso mühelos wie bedenkenlos über die Köpfe des Volkes hinweg entscheidet?

Europas Demokratie oder Chinas Diktatur? Martullo-Blocher hat die Antwort: Effizienz ist entscheidend. Wobei als Fussnote anzumerken wäre, dass China in Europa – dem erfolgreichsten Wirtschaftsraum der Welt – Wissen und Können zusammenklaut und zusammenkauft.

«Demokratie» ist – neben «Volk» – der Lieblingsbegriff der Schweizerischen Volkspartei. Sie hat das edle Wort gepachtet. Sie führt es grosssprecherisch im Munde.

Demokratie oder Ems-Chemie? Das ist hier die Frage.

Was wir an Europa lieben
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