Im Kanton Tessin wurden in vier Jahren nicht mehr als 28 Burkabussen verhängt. Auf Schweizer Strassen treiben sich Burkafrauen nicht in Scharen herum. Es sei denn, als Touristinnen – wie im Schweizer Mekka Interlaken. Und doch will der Bundesrat, vom Volk zu einem Verhüllungsverbot verpflichtet, Burkaträgerinnen mit einer Busse von bis zu 1000 Franken belegen.
Nun war zu lesen, dieses Gesetz gegen die Degradierung von Frauen zu düsteren Stoffgestalten sei womöglich ein «Papiertiger».
Ist das Verbot, auf der Autobahn die falsche Spur zu benutzen, ein «Papiertiger»? Es gibt doch sehr wenige Unfälle dieser Art! Ist das Verbot, im Restaurant Zechprellerei zu begehen, ein «Papiertiger»? Es gibt doch kaum Verstösse dieser Art! Ist das Verbot, in aller Öffentlichkeit unzüchtige Handlungen zu begehen, ein «Papiertiger»? Vorkommnisse dieser Art kommen kaum vor.
Könnte es nicht sein, dass Gesetze eher dazu da sind, Verstösse zu verhindern, als sie zu sanktionieren? Dass Paragrafen also den tieferen Sinn haben, eine Ordnung zu formulieren und eine gesellschaftliche Kultur zu etablieren, zum Beispiel die Kultur von Gleichheit und Freiheit der Frau?
Aber wird nicht gerade diese Freiheit der Frau durch das Verhüllungsverbot verletzt? Wird damit nicht die islamische Frau in Schweizer Gemarkungen gesetzlich daran gehindert, einen Totalschleier zu tragen, der auch ihr Gesicht verhüllt?
Verbietet der Bundesrat Freiheit?
Was für eine Freiheit wäre das? Eine Freiheit, gegen die im Iran seit Wochen Frauen zu Tausenden auf die Strasse strömen: weil sie die Verschleierung verweigern, weil sie das Kopftuch satthaben, weil sie in den religiösen Kleidervorschriften erkennen, was sie sind, wozu sie dienen – zur Unterdrückung der Freiheit, zur Unterdrückung der Frau.
Ja, die Schweiz erlässt ein Verbot von Unfreiheit!
Auch Männer demonstrieren im Iran inzwischen zu Tausenden. Sie haben erkannt: Die Freiheit der Frauen ist ihre eigene Freiheit – und umgekehrt.
Ja, Freiheit ist unteilbar.
Müsste man meinen. Viele westliche Feministinnen jedoch tun sich schwer mit dem Aufstand gegen die Mullahs und ihre religiöse Diktatur. Die iranische Frauenrevolte erwischt vor allem die Gender-Ideolog:innen auf dem falschen Fuss. Einerseits haben sie sich gerade der Spracherziehung hingegeben, dem Gendersternchen, das aus dem Wort «Mensch» künftig «Mensch*in» macht und mit einem korrekten Hicks auszusprechen ist; andererseits sehen sie Burka und Kopftuch lediglich als religiöses Symbol, wie beispielsweise das christliche Kreuz, anzulegen oder abzulegen je nach Gusto.
Nun aber verhaftet und foltert und erschiesst das Mullah-Regime Frauen, die nach eigenem Gusto unverhüllt leben wollen – ohne religiöses Symbol über dem Körper und über dem Kopf.
Die Totalverschleierung ist kein Symbol – sie bedeutet etwas ganz Reales: die Vernichtung der Frau als Persönlichkeit, die Auslöschung ihrer Gestalt und ihres Gesichts, ihrer Bewegung und ihres Lächelns – ihres Menschseins. Das Kopftuch ist die Disziplinierung der Frau durch die Disziplinierung ihrer Haartracht.
Beides ist so wenig symbolisch, wie Sklaven in Ketten zu legen.
Vielleicht sollten Feministinnen der linksreaktionären Sorte mal ausprobieren, wie sich ein Tag unter Hidschab und Burka anfühlt – rein symbolisch natürlich und in aller Freiheit, die ja ihrer Ansicht nach durch solcherlei Verhüllungen verwirklicht wird.
Judith Butler, Päpstin des gerade angesagten Feminismus, predigt die Freiheit der Burka mit folgenden Worten: «Sie symbolisiert, dass eine Frau bescheiden ist und ihrer Familie verbunden; aber auch, dass sie nicht von der Massenkultur ausgebeutet wird und stolz auf ihre Familie und Gemeinschaft ist (…) Die Burka zu verlieren, bedeutet mithin auch, einen gewissen Verlust dieser Verwandtschaftsbande zu erleiden, den man nicht unterstützen sollte. Der Verlust der Burka kann eine Erfahrung von Entfremdung und Zwangsverwestlichung mit sich bringen.»
Hätte Irans oberster Religionsführer Ali Chamenei es schöner formulieren können? Zeitgemässer?
Mit der gebotenen ideologischen Strenge wird den aufbegehrenden Frauen im Iran die linke Belehrung ins Stammbuch geschrieben: Nicht nur randalieren sie überflüssigerweise gegen ein Symbol, sie verstossen zudem sträflich gegen die weibliche Pflicht, «bescheiden» zu sein und «ihrer Familie verbunden» – zudem provozieren sie mit dem «Verlust der Burka» eine «Zwangsverwestlichung».
Alles unverzeihlich – für Judith Butler und die Mullahs gleichermassen.
Nicht weniger für deren Schweizer Genoss:innen.