Frank A. Meyer – die Kolumne
Über das Alter

Publiziert: 25.02.2024 um 00:18 Uhr
Frank A. Meyer

Es wird mal wieder gewarnt. Diesmal vor den Senioren. Zum Beispiel so: «Die Mehrheit der Wähler in der Schweiz wird immer betagter», was in einer «verkrusteten Gesellschaft» zu enden drohe, in einer «kurzsichtigen Herrschaft des Alters» gar. Damit ist das Urteil gefällt: Die Alten sind eine Gefahr. Eine Schlagzeile der «Neuen Zürcher Zeitung» ruft das Land zum Widerstand: «Junge und Ältere, wacht auf!»

Länger arbeiten ist das Rezept, das die jungen Freisinnigen mit ihrer Initiative zur Erhöhung des Rentenalters vorschlagen: bis sechsundsechzig arbeiten, um der gesteigerten Lebenserwartung rentenkassengerecht zu werden. Aber damit ist dem Schreckensszenario einer Herrschaft der Alten noch keine Grenze gesetzt. Das Phänomen hat einen Namen:

«Überalterung».

Der Begriff dient der Diffamierung von Senioren, die das Sozialsystem belasten – schlimmer noch: die Entwicklung frischwärts in eine gelobte Zukunft behindern. Was aber ist der sachliche Hintergrund dieses Phänomens?

Die Menschen leben länger.

Sie leben sogar gesünder länger – physisch fit bis ins Alter, jung geblieben im Geist, präsent im lebenslustigen Alltag, politisch wach, kulturell neugierig. Welcher «Boomer» fühlt sich nicht so an seinem 70., an seinem 75. Geburtstag? Wer kennt nicht zahllose Zeitgenossen, die diesen Zeitgeist verkörpern, regelrecht versprühen?

Die meisten von ihnen sind pensioniert: aussortiert aus der Arbeitswelt, mitsamt ihrer beruflichen Erfahrung, ihrem Wissen aus Jahrzehnten hoch qualifizierter Tätigkeit.

Gelöscht.

Ja, so ist es: Arbeitnehmer, Fachkräfte, Spezialisten werden gelöscht – wie ein Computerprogramm.

Aber löscht man ein Programm, weil der Computer «überaltert» ist? Eine absurde Vorstellung. In der modernen Wirtschaft jedoch ist genau dies gängige Praxis im Umgang mit älterem Personal.

Die Absurdität einer Gesellschaft, die sich in Sneakers, Hoodies und Kuschelpullovern gerade auf den Weg in die Drei-Tage-Woche macht.

30 Prozent der Arbeitnehmer in der Schweiz sind 50 Jahre oder älter. Ein Problem? Ein Vorteil. Sie geben ihre Berufserfahrung, auf die sich ganze Wirtschaftszweige stützen, an die nachwachsenden Generationen weiter. Aber warum eigentlich nur bis zum Pensionsalter? Weshalb diese Verschleuderung von Erfahrungspotenzial, nur weil sich eine Alterszahl erfüllt? Was hat das mit dem realen Arbeitsleben zu tun?

Was mit dem Leben überhaupt?

Eine Gesellschaft, die länger lebt, dürfte sich eigentlich nicht mit dem Begriff «Überalterung» quälen, sondern müsste fröhlich aufbrechen in die Zukunft des längeren Lebens – immerhin eine Errungenschaft eben-dieser Gesellschaft.

Wie war das im 19. Jahrhundert, als Männer 35 Jahre alt wurden und Frauen 38? Oder Anfang des 20. Jahrhunderts, als Männer gerade mal 44 und Frauen 48 Jahre schafften? Wurde ob des Fortschritts zu höherer Lebenserwartung die «Überalterung» beklagt? Man erfreute sich des längeren Lebens, mit allen sozialen Verbesserungen, die parallel dazu errungen wurden.

Das wirtschaftliche – das gesellschaftliche – Potenzial längeren arbeitsfähigen Lebens müsste für die Human-Resources-Abteilungen der Unternehmen eigentlich eine Herausforderung sein: die Mitarbeiter fürs Weiterarbeiten zu gewinnen, ob in Vollzeit oder Teilzeit.

Der erfolgreiche Kapitalismus ist eine Arbeitsgesellschaft – eine Kultur des ständigen Dazulernens, Erfahrens, Erprobens. Arbeiten heisst immer auch: Ich kann es. 

Arbeiten ist der gelebte Selbstwert.

Die Jungen rennen schneller, die Älteren kennen die Abkürzung.

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