Vielleicht ist dieser eine Satz der Schlüsselsatz: «Wir haben unsere Politik gemeinsam zu erklären.»
Vielleicht ist dieser eine Politiker der Schlüsselpolitiker: Kevin Kühnert (35), Generalsekretär der deutschen Sozialdemokraten, kurz: der SPD.
Warum dieser Satz? Warum dieser Politiker?
Der Satz, nach dem Absturz der SPD bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen formuliert, will sagen: Die Niederlage der Genossen ist Teil eines Missverständnisses, denn hätte die grosse, alte Partei ihre Politik nur besser erklärt, wäre sie beim Wähler auch besser angekommen. Nun müsse man eben nachholen, was verpasst worden sei: Erklärung und Aufklärung.
Der Bürger als Objekt der Erziehung – in der Schulbank der Demokratie.
Kevin Kühnert, Wortführer nach der Niederlage, ist das Model auf dem linken Laufsteg: Studienabbrecher, Berufspolitiker, redegewandt, bisweilen sogar charmant, schritt- und trittsicher in jeder ärgerlichen Lage, wie gerade jetzt: Wir müssen dem Wähler erklären, was er erst noch einüben muss, um SPD-tauglich zu werden.
Der Bürger erwartungsvoll unten – einfaches Volk eben. Der Showstar oben am Mikrofon – im Besitz all dessen, was die unten erst noch zu begreifen haben.
Was hat Kevin Kühnert mit den begriffsstutzigen Wählern zu tun? Ist er, der Sozialdemokrat, einer von ihnen? Entfährt auch nur einem Bürger beim Blick auf ihn der Satz: «Der ist einer von uns» – von uns, dem Volk?
Grösser war die Entfernung der einstigen Volkspartei von denen, für die sie zu politisieren glaubt, in Sprache, Botschaft und Personen noch nie.
Oder lautet so lediglich eine böswillige Schilderung gutwilliger
Politik?
In «Cicero», dem «Magazin für politische Kultur», bringt es Juli Zeh, Schriftstellerin und linke Denkerin, mit folgenden Worten auf den Begriff: Politiker glaubten, «den Leuten ständig etwas zu erklären, sie abzuholen, mitzunehmen, auf Augenhöhe zu adressieren und so weiter. Das ist ein pädagogischer Ansatz für Politik und damit eben auch eine Top-down-Methode».
Zeh zählt auch die Grünen zu denen, die so handeln: nicht nur fern vom Wähler, sondern lehrerhaft überheblich – wie könnte es anders sein?
Bei den Sozialdemokraten müsste es anders sein! Aber wird die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, also die Partei der Schreiner und Pflegerinnen, der Bodenleger und Schneiderinnen, wirklich von Schreinern und Pflegerinnen und Bodenlegern und Schneiderinnen bestimmt?
Wird die einstige Partei der Werktätigen von Werktätigen geführt – «von solchen wie uns»?
Die Entfremdung zwischen den Genossen und ihrem angestammten Wahlgefolge ist nicht einfach ein kommunikatives Missverständnis. Es ist die Distanz des Personals in den Führungsetagen der Partei zu ihrer angestrebten Zielgruppe. Die falschen Leute erläutern mit akademischem Zungenschlag bürgerferne Politik: von Willkommenskultur über Klimaregeln bis Genderbenimm – ideologisches Kunterbunt aus der universitären Wohlfühlwelt.
Diese Wohlfühlwelt weitab von der Arbeitswelt überwuchert die linksgrünen Parteien. Die Sozialdemokraten liessen die kulturelle Machtübernahme widerstandslos zu – nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich, auch in Schweden, auch in Österreich, auch
in der Schweiz.
Der Verlust an Sozialdemokratie ist eine Gefahr für Europas Freiheit, denn die Partei der freiheitlich gesinnten Genossen ist unverzichtbar für jede offene Gesellschaft.
Welche Partei stand in schlimmsten Zeiten der jüngsten Geschichte immer treu zur Demokratie? Welche Partei musste nach der Befreiung von Nationalsozialismus und Faschismus nicht neu gegründet werden? Ja, welche Partei verkörperte zeitenübergreifend fortschrittliche Bürgerlichkeit?
Und wem gehört diese Partei heute?
Nicht denen, für die zu sprechen sie behauptet.