Frank A. Meyer – die Kolumne
«Ticket»

Publiziert: 03.12.2023 um 00:29 Uhr
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Aktualisiert: 03.12.2023 um 08:20 Uhr
Frank A. Meyer

Fürwahr, Bundesratswahlen sind eine hochkomplexe Angelegenheit: sieben Minister, einzeln erkoren, einer nach dem andern. 1973 wurde Willi Ritschard anstelle des offiziellen SP-Kandidaten Arthur Schmid zum Bundesrat gewählt, was im folgenden Wahlgang die Nichtwahl des offiziellen CVP-Kandidaten beförderte, was prompt die Nichtwahl des offiziellen FDP-Kandidaten auslöste – eine Kaskade von Nichtwahlen. 


Der tiefernste Unterhaltungswert der Bundesratskür steht also ausser Frage. Bundesratsforscher haben Hochkonjunktur. Die «Neue Zürcher Zeitung», dem Bundeshaus seit je innig verbunden, wenn nicht gar Teil davon, hat diese Woche auf 106 Zeilen akribisch die Frage erwogen, ob ein Mitte-Vertreter am übernächsten Mittwoch einen FDP-Bundesrat zu stürzen imstande wäre.

Es ist neuerdings üblich, dass die Wahlen ins Siebnerkollegium als innere, ja geradezu intime Angelegenheit der Bundeshauselite behandelt werden. Die Sozialdemokraten, deren ramponierter Star Alain Berset diesmal zu ersetzen ist, präsentieren der Bundesversammlung ihr «Ticket», wie sie die zwei Genossen nennen, die sie dem Wahlgremium anbieten. Die Wortführer der rechten Grossparteien geloben, dieses linke «Ticket» zu akzeptieren, sofern auch ihr «Ticket» unangetastet bleibt.

Eine ausgetüftelte Inszenierung namens «Wahlen».

Was 1973 mit der Nichtwahl von Schmid, Franzoni und Schmitt geschah, später mit der Wegwahl von Metzler oder der Abwahl Blochers – was Kandidaten in Wahlen widerfahren kann, weil es nun mal Wahlen sind, soll noch vor dem Wahlakt ausgeschlossen werden.

Die Bundesversammlung, diszipliniert durch die Bundesratswahlmacher.

Die Schweizerische Volkspartei kennt sogar ein diesbezügliches Verbot: Ein SVP-Parlamentarier, der sich gegen das SVP-«Ticket» wählen liesse, wäre die Parteimitgliedschaft los. Welche Partei schwatzt an allen anderen Tagen des Jahres am häufigsten von Freiheit und Demokratie?

Eigentlich wäre das Mandat eines Mitglieds der Bundesversammlung ein freies Mandat, dessen Entscheidung also allein dem Gewissen unterworfen. Denn der Parlamentarier wirkt dabei als Vertreter des Bürgers im wichtigsten Wahlakt unter der Bundeshauskuppel – der Wahl der Landesregierung.

Dieses Unabhängigkeitsgebot mutiert gerade zum Machtspiel der Parteien.

Die Sozialdemokraten tun sich dabei ganz besonders hervor. Parteiintern wurde das «Ticket» vorgefertigt, unter Abstrafung von potenziellen Spielverderbern in den Wahlgängen der Fraktion. Die Kollegen der bürgerlichen Parteien und des Populistenlagers werden sich an das Verdikt der Genossen halten – zu viel Wahl-Freiheit könnte dem eigenen «Ticket» Unheil bringen.

Damit entziehen die «Ticket»-Taktiker die Wahl des Bundesrats der Beratung im Parlament: Der Wahlprozess findet in den Parteigremien statt – und wird der Bundesversammlung als Fertiggericht unterbreitet, als verbindliches «Ticket» zum Abnicken – im Fall der SPS immerhin mit der Möglichkeit, zwischen zwei Erwählten wählen zu dürfen.

Parteipolitik statt Parlamentspolitik.

Solcherlei Unpolitik ist bei Bundesratswahlen seit langem üblich. Die Zusammensetzung der Regierung – je zwei Minister der drei grossen Parteien und ein Minister der kleinen – wird als «Zauberformel» verklärt, die Formel selbst zum Zahlenspiel: Wähleranteil und Fraktionsgrösse – Zahlenkriterien! – entscheiden über Regierungssitze.

Derzeit läuft eine filigrane Rechnung zwischen der FDP und der Mitte: Hat die Mitte den Freisinn überholt? Soll sie Anspruch auf einen zweiten Sitz – einen freisinnigen Sitz – erheben? Oder doch noch zuwarten, bis sie in vier Jahren womöglich eindeutig stärker ist?

Mathematik ersetzt Politik.

Die Regierung der Schweiz: ein rechnerisch gerechtfertigtes «Ticket».

Zauberhaft.

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