Ja, wie «tickt» Simonetta Sommaruga? Das Verb «ticken» rutscht Journalisten derzeit hurtig aus den flinken Fingern, wenn sie sich zum Thema Sommaruga über ihre Tastaturen beugen. Aber hat die scheidende Bundesrätin überhaupt je getickt? Das Wort kennzeichnet die Suche nach einem Verhaltensmuster, das Menschen in der Politik erklärbar machen soll. Womöglich aber ist im Fall der Pianistin mit dem wundersam musikalisch klingenden Namen alles anders.
Vielleicht geht einfach die, die 2010 kam.
Wer die Bilder von damals mit den Bildern von heute vergleicht, begegnet einer Frau, der das Bundesratsamt nicht abzuringen vermochte, was sie zutiefst ausmacht: Eigenwilligkeit ohne egozentrische Inszenierung, Einsatz ohne politische Pose, Sensibilität ohne Susceptibilité, Anstand im Umgang – sogar mit Feinden.
Eine Bürgerliche.
Obwohl Sozialdemokratin? Nein, deshalb! Wer ist bürgerlicher als eine konservative Linke? Wie eben Simonetta Sommaruga – bis in den Kleidungsstil, bis in die Eleganz des Auftritts.
Man stelle einen geifernden Populistenführer neben sie – und es erweist sich die Peinlichkeit des Antibürgerlichen: Vulgarität versus Wohlerzogenheit.
Wer wohlerzogen ist, ist immer auch streng – zuerst streng mit sich selbst. Genau so war, genau so ist Simonetta Sommaruga. Insofern wirkt sie auch einschüchternd: Wie verhält man sich in Zeiten digitaler Rüpelhaftigkeit einer so feinen Frau gegenüber? Mit welcher Distanz oder wie angriffig in der politischen Debatte? Pampigkeit, Prahlerei und Polterei waren ihr zwar nie einerlei – aber sie bewahrte die Fassung, blieb stets freundlich, bei aller Härte, die sie argumentativ zu mobilisieren wusste.
Eine Grande Dame. Die Grande Dame – der Schweizer Politik.
Man legt sich derlei Qualitäten nicht im Verlauf einer politischen Karriere zu. Sie müssen bereits vorher ausgebildet sein. Darum «tickt» Simonetta Sommaruga nicht. Sie ist einfach da. Und steht doch immer ein wenig abseits. Dort, wo das unzerstörbare Besondere sichtbar wird. Auf Bildern des Bundesratskollegiums ist es zu sehen: Simonetta – die auf irgendeine Weise andere, die Besonderheit Ausstrahlende, die gleichzeitig Schüchterne.
War, ist sie sich dessen bewusst? Selbstverständlich. Dafür sorgt ihre präzis beobachtende – selbstbeobachtende – Intellektualität. Und dazu wiederum passt ihr Gatte, ihr Lebensfreund – was das schönere Wort ist.
Lukas Hartmann verwandelt Geschichte und geschichtliche Persönlichkeiten in Geschichten, ein Poet der vergangenen Wirklichkeit, ein Kunsthandwerker der Entdeckung beim Schreiben und Lesen.
Lukas und Simonetta – Intellektuelle in wenig intellektuellen Zeiten!
Er, der Unauffällige, der Literat in seiner Schreibstube. Sie, die frühere Pianistin, die Künstlerin, im Zentrum der Macht, erfolgreich sogar. Das spricht für die Republik.
Jetzt hat Lukas eine gesundheitliche Schädigung ereilt. Simonetta eilt ihm zur Seite.
Sie geht, wie sie kam.