Frank A. Meyer – die Kolumne
Schweiz und Schweiz

Publiziert: 23.06.2024 um 00:01 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Dem deutschen Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» ist Herablassung als Stilmittel nicht fremd, wenn es darum geht, die schlecht regierte Welt vorzuführen. Diese Woche aber zollte die Hamburger Zyniker-Journaille der Eidgenossenschaft schnörkellose Anerkennung: «92 Staaten der Welt zu versammeln, von Ost-Timor bis zu den Komoren, ist ein respektabler Erfolg für die Schweizer Gastgeber.»

Dabei ist dieser Erfolg ja durchaus mehr als eine Versammlung politischer Potenz und Prominenz: 80 Nationen stellten sich hinter die kriegsbedrängte Ukraine – mit der Forderung nach freien Handelsrouten für das angegriffene Land, gegen die Drohung mit Atomwaffen und für den sicheren Betrieb der dortigen Atomkraftwerke, ebenso für die Ernährungssicherheit sowie die Rückkehr der rund 20 000 Mädchen und Knaben, die von der russischen Soldateska deportiert wurden.

Auf dem Bürgenstock enthüllte die Welt das ganze Panorama von Putins Perversion.

Und die Schweiz hat das ermöglicht.

Die Schweiz? Das feierliche Foto der strammstehenden Staatsführer zeigt Viola Amherd, wie sie lächelnd nach vorn gebeugt die aufgereihten Regierungsrepräsentanten mustert – ein Bild für die Geschichtsbücher. So gewinnt man Herzen in herzloser Zeit: unprätentiös, beharrlich, heiter-selbstsicher – wie es die Bundespräsidentin der Schweizerischen Eidgenossenschaft nun einmal ist.

Was hat man der Walliserin alles nicht zugetraut, fast noch weniger als Aussenminister Ignazio Cassis, dem Mann im schwierigsten Ministerium einer Nation der unerschöpflichen Wenn und Aber angesichts der übrigen Welt. Der Tessiner hat, glaubt man der journalistischen Ereiferung, bisher eigentlich alles falsch gemacht. Vor den Erneuerungswahlen zum Bundesrat soll er bereits kurz vor der Ablösung als politischer Chef der Diplomatie gestanden haben. Und nach der Wahl galt sein Beharren auf dem Aussenministerium als schiere Zwängerei. Freilich, niemand lässt sich in der Vier-Sprachen-Republik strafloser bemäkeln als ein Ticinese, fehlt ihm doch ein kulturell schwergewichtiges Hinterland.

Amherd und Cassis, das ist aber auch: der Bundesrat. Die Regierung verantwortete die Bürgenstock-Konferenz gemeinsam. Nur so gelang es der Verteidigungsministerin und dem Aussenminister, ihre globale Idee durchzukämpfen und durchzusetzen – getragen vom Konsens des Siebner-Kollegiums.

Und so stand die Schweiz schliesslich als politischer Akteur auf der Weltbühne.

Das ist das eine, worüber in der Woche danach zu reden wäre. Das andere ist der Bürgenstock, ein Resort der Luxus-Luxusklasse: auf den heiligen Höhen über Tells See, über den Geburtslanden der Eidgenossenschaft, über der Mythenschweiz – der Kulisse ihrer historischen Selbstfindung.

Die Freiheitskanzel im Herzen der Eidgenossenschaft.

Allerdings im Besitz Katars.

Die Regierung der durch und durch demokratischen Schweiz lud die Welt in ein Resort der durch und durch demokratiefeindlichen Öl- und Erdgas-Potentaten, die einen historisch strahlenden Bergrücken der Freiheitsschweiz besitzen – besetzen!

Geld hat auf dem Bürgenstock den Geist gekauft – Schweizer Geist!

Oder gibt es vielleicht sogar zweierlei Schweizer Geist: den demokratischen von Viola Amherd und Ignazio Cassis, also des Bundesrates – und den der geldgierigen Schweiz-Vermarkter?

Hätten die sonst so tapferen Vaterlandsverteidiger da nicht sagen müssen: «Katar auf dem Bürgenstock? Kommt gar nicht infrage! Das Resort dort oben machen wir selbst. Das gehört zur Eidgenossenschaft – das i s t die Eidgenossenschaft.»

Leider, leider steht der Bürgenstock für die Käuflichkeit der Schweiz – wie sie sich gegenwärtig ganz besonders skrupellos in den Berggebieten niederschlägt, wo einheimische Bürgerinnen und Bürger nur mit Mühe bezahlbare Wohnungen oder Ferienhäuser finden.

Geld verdrängt die Ansässigen.

Die Schweiz wird feilgeboten.

Das ganze Alpenland auf dem Weg zum Resort der Reichsten.

Doch der Geldgeist ist eben auch Schweizer Geist – der Ungeist einer gierigen Nation.

Auf dem Bürgenstock trafen die beiden Schweizen aufeinander: die Rütli-Schweiz als zahlender Gast der Katar-Schweiz.

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