Was es in der vergangenen Woche nicht alles zu vermelden gab vom Davoser Weltwirtschaftsforum, dem legendären WEF! Im Zürcher «Tages-Anzeiger» zum Beispiel war Folgendes zu lesen: «Man kann dem neuen Präsidenten Brasiliens vielleicht einiges vorwerfen. Dazu gehört jedoch nicht, zu viel Geld für Essen auszugeben. Denn Jair Bolsonaro ist mit seiner gesamten Delegation am Dienstagmittag im Migros-Restaurant in Davos gesichtet worden, wie die ‹Schweizer Illustrierte› berichtet.»
Davos-Man Bolsonaro isst, wo gewöhnliche Davoser zu essen pflegen, und das auch noch – man kennt ja das Gedränge in den Migros-Gaststätten – «zwischen Büezern und Fussvolk», wie es sich die stets menschennahe ‹Schweizer Illustrierte› lustvoll ausmalt.
Bemerkenswert an dem Bericht, der das Herz eines sensiblen Demokraten durchaus zu rühren vermag, ist die Bemerkung des «Tages-Anzeigers»:
«Man kann dem neuen Präsidenten Brasiliens vielleicht einiges vorwerfen.»
Natürlich nur «vielleicht». Trotzdem sollte nicht ganz und gar unterbleiben, dem so ehrenvoll empfangenen brasilianischen Präsidenten etwas vorzuwerfen. Also denn: Jair Bolsonaro kleidet seinen Hass gegen Homosexuelle in folgendes Bekenntnis: «Ich hätte lieber einen Sohn, der bei einem Unfall stirbt, als einen schwulen Sohn.» Jair Bolsonaro bekundet seine Begeisterung für die brasilianische Militärdiktatur mit folgendem Satz: «Der grosse Fehler der Diktatur war es, dass sie Menschen nur gefoltert hat. Nicht getötet.»
Da allerdings irrt der Präsident: Mehr als 400 Menschen wurden in den Jahren 1964 bis 1985 grausam umgebracht. Für das, was Jair Bolsonaro unter «nur gefoltert» versteht, folgendes Beispiel:
«Sie waren erst vier und fünf Jahre alt. Edson und Janaina wurden von Militärs gezwungen anzuschauen, wie ihre Mutter Amelinha gequält wurde, nackt und vom eigenen Urin beschmutzt. ‹Oberst Carlos Alberto Brilhante Ustra war der erste, der mich ins Gesicht geschlagen hat, sodass ich zu Boden ging›, so Amelinha Teles. ‹Zehn Tage mussten die Kinder zusehen, wie ich auf dem Drachenstuhl, einem elektrischen Stuhl, gefoltert wurde, voller blauer Flecken, mit deformiertem Gesicht, in der Zelle. Es war die Hölle.›»
So der Bericht der laut Jair Bolsonaro «nur gefolterten» Amelinha Teles.
Im brasilianischen Parlament rief Jair Bolsonaro auch schon «zum Gedenken an Oberst Carlos Alberto Brilhante Ustra» auf – den Folterknecht der Mutter.
Wie sagte doch der Zürcher «Tages-Anzeiger»? «Man kann dem neuen Präsidenten Brasiliens vielleicht einiges vorwerfen.»
Eine linke Parlaments-Abgeordnete beleidigte Jair Bosanero vor laufender Kamera: «Du verdienst es nicht, von mir vergewaltigt zu werden.» Übrigens hält der Präsident Brasiliens, ganz neu erhoben zum Mitglied der WEF-Elite, Adolf Hitler für einen «grossen Strategen».
Wer hätte das gedacht?
Ist etwas hinzuzufügen zum politischen Palmarès des WEF-Eröffnungsredners? Vielleicht noch die Petitesse, dass er mit Paulo Guedes einen neoliberalen Professor zu seinem Wirtschafts-Superminister ernannt hat, der bereits der Diktatur Augusto Pinochets, Chiles Präsident von 1974 bis 1990, eifrig zudiente. Mehr als 2000 Tote sind die Bilanz dieses Regimes, Zehntausende Gefolterte, die Zerstörung des Sozial- und Schulsystems, die Zurichtung Chiles zur Diktatur der Wirtschaft, alles ganz im Sinne der neoliberalen Chicago Boys.
Pinochets Schreckensherrschaft gilt heute als historischer Laborversuch des Neoliberalismus – und wird von Paulo Guedes als Beispiel für Reformen in Jair Bolsonaros Brasilien betrachtet.
Ach ja, «man kann dem neuen Präsidenten Brasilien vielleicht einiges vorwerfen» – doch er hat in Davos bei Migros gespeist, samt Entourage, mitten unter «Büezern und Fussvolk».
Wenn das nicht mildernde Umstände sind!
Unser Bundespräsident Ueli Maurer jedenfalls hat sich den geradezu anrührend bescheidenen Auftritt seines brasilianischen Kollegen zu Herzen genommen. Und klärend erklärt: «Man darf Bolsonaro nicht zum Bösewicht machen.» Weshalb er mahnend gleich noch die Journalisten zur Brust nahm: «Diese Diskriminierungen und dummen Sprüche, die ich in den Medien lese, gehören sich gegenüber einen gewählten Präsidenten nicht.»
Welch glückliche Fügung, dieser Auftritt von Ueli Maurer!
Da trafen zwei Elite-Repräsentanten aufeinander, um sich in populistischer Eintracht zu bestätigen, dass weder Hass gegen Homosexuelle noch die Aufforderung zum Töten noch die Verherrlichung der Folter Themen seien fürs Elite-WEF – weil höchst unangemessen angesichts all der guten Absichten, die das Treffen in der schneeseligen Bergatmosphäre beflügeln.
Klaus Schwab, der grosse Gastwirt des Weltwirtschafsforums, der geniale Gestalter dieser einzigartigen Veranstaltung, hat ein geistreiches Buch mit dem Titel «Die Vierte Industrielle Revolution» verfasst. Darin ist viel Kluges zu lesen über Ethik und Moral in dieser Zeit, über menschliche Bindungen, über emotionale Intelligenz.
Es atmet einen Geist, der mit Fug gelobt werden darf als Gegengeist zum Ungeist all der Jair Bolsonaros, die neuerdings Zugang finden zu den Weltwirtschaftseliten – und dortselbst aufs Herzlichste hofiert werden.