Drei überaus sympathische Bekannte des Autors dieser Kolumne sassen jüngst zusammen, um ein Video über Migration zu drehen: zwei Diplomaten ersten Ranges sowie ein Filmer und Kulturaktivist vergleichbaren Kalibers. Die Begegnung dieses respektgebietenden Trios ist eine gute Gelegenheit, dem Thema einige kritische Gedanken zu widmen.
Die drei Video-Akteure verwendeten wiederholt die Begriffe «Flüchtlingsfrage» und «Flüchtlingspolitik» und machten «Flüchtlinge» zum Gegenstand ihrer moralisch sensiblen Erörterungen, die allgemein übliche Bezeichnung für Migranten. Ist etwas falsch daran?
Die gegenwärtig dramatischste Form der Völkerwanderung scheint den Begriff zu rechtfertigen: In kleinen bis kleinsten Booten wagen Migranten zu Tausenden den Seeweg von Nordafrika nach Europa und müssen zumeist gerettet werden. Also handelt es sich dabei um Flucht – jedenfalls um Flucht vor dem Ertrinken, bis sie von Seenotrettern an Bord eines sicheren Schiffes gehievt werden.
Sind sie auch sonst auf der Flucht? Gerettet werden, wie auf den Bilder ihrer Rettung zu sehen ist, zumeist junge kräftige Männer, dazu auch einzelne Frauen und Kinder, wie uns die Medien ebenfalls zeigen – und das Geschehen als anrührende Flucht-Story verbreiten.
Wer wagt da auch nur den kleinsten Einwand? Nun, Kritik sei dennoch gewagt.
Die jungen Männer, mitunter Familien, zahlen Tausende von Dollars, damit Schlepper sie auf seeuntaugliche Bötchen setzen. In diese Gefahr begeben sie sich aufgrund der Aussicht, mit viel Glück in Italien oder Spanien zu landen oder wenigstens dem Ertrinkungstod durch NGO-Retter entrissen zu werden, die systematisch das Meer nach Schiffbrüchigen absuchen.
Aber sind es Flüchtlinge?
Unter diesem Begriff wird in Politik und Medien über sie gesprochen. Ja, diese jungen Leute suchen eine bessere soziale Zukunft – was ihnen nicht zu verargen ist. Auswanderer dort, Einwanderer bei uns – auch daran ist nichts Schändliches.
Aber Flüchtlinge?
Überaus bemerkenswert ist, wie sie von führenden Kreisen der europäischen Gesellschaft – auch der schweizerischen – eingeschätzt werden: als Menschen, die unfähig sind zu erkennen und zu beurteilen, worauf sie sich mit der Flucht übers Mittelmeer einlassen, wie sehr sie ihre Frauen und Kinder gefährden – wie verantwortungslos sie handeln.
Als Unmündige.
Unmündige bedürfen natürlich der Vormünder, in Westeuropa einer NGO-Industrie, die von diesem Neokolonialismus trefflich lebt – in Interessengemeinschaft mit den Schleppern, die auf See wie an Land seelenruhig ihr zynisches Milliardengeschäft betreiben.
Die hochverehrte Video-Runde gelangte zu der politischen Schlussfolgerung: «Ja, wir sind eine Migrationsgesellschaft – und das ist gut so.» Andersdenkende können sich da nur noch ducken und Busse tun.
Oder auch dieses Klischee hinterfragen: Was meint «Migrationsgesellschaft»? Die europäische, die EU-Binnenmigration? Eine Selbstverständlichkeit. Die Migration tüchtiger Asiaten? Klar doch. Die Migration aus dem islamischen Raum, von Nordafrika über Arabien bis Afghanistan? Da wirds heikel.
Die Schweiz zählt zur aufgeklärten, zur säkular-laizistischen Welt. Ihre offene Gesellschaft lebt nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Sie ist ein demokratischer Rechtsstaat. Mehr als 200 Jahre Entwicklung hat es gebraucht, bis sie dazu wurde. Generationen kämpften gegen die autoritär-bestimmende Macht von Religion und Kirche – unter anderem mit dem Kloster- und Jesuitenverbot sowie der bundesrätlichen Zuständigkeit für Bistümer. So viel zur Tradition von Freiheit und Gleichheit – den unverhandelbaren universalen Erkenntnis-Prinzipien der Eidgenossenschaft sowie des gesamten Westens.
Heute erlebt die westliche Welt den Ansturm längst verflossener Jahrhunderte in Form eines voraufklärerischen Islam, in Form von Koran, Überlieferungen und Scharia, einem Konvolut von Gesetzen, Regeln und Werten, die mit unserer Bürgerwirklichkeit nichts zu tun haben. Es sei denn in Feindschaft zu Freiheit und Gleichheit beispielsweise für Frauen oder Homosexuelle oder religiös Abtrünnige.
Darf man das so sagen? Darf man darüber nachdenken? Haben die drei migrationsseligen Video-Referenten darüber nachgedacht? Sind autoritär und totalitär geprägte Einwanderer zu Tausenden, zu Hunderttausenden, zu Millionen der demokratisch-rechtsstaatlichen Zukunft zuträglich?
Ach so, man muss bloss den Dialog suchen; man muss sich um Integration bemühen; man muss eine Willkommenskultur entfalten. Dann kommt alles gut.
Zum Beispiel in den Schulen, allwo bis zu 90 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund sitzen. Wer wird da integriert? Die Minderheit, die in der Pause lernt, dass das Messer auf den Schulhof gehört? Dass die Lehrerin weniger wert ist als der Lehrer? Dass ein junger Mann noch ein Mann ist? Dass die Scharia auch als Jugendkultur taugt? Dass Kopftuch und Schleier die Würde der Frau und die Ehre des Mannes schützen?
Nein, so sarkastisch darf man nicht über die Religion des Propheten reden, denn so reden die Rechtspopulisten. Die allerdings reden so, weil sie sagen, was die andern verschweigen: die Guten in den NGOs, die Edlen an den Universitäten, die Gläubigen in den Kirchen, die Appeaser in den Medien, die Erziehungsbeflissenen überall, wo das betuchte Bürgertum seine überlegene Moral verträufelt.
Von dort schickt man seine Kinder übrigens mitnichten in Schulen mit massivem Migrantenanteil – man wohnt in migrationsverschonten Quartieren, am sichersten fährt man den Nachwuchs morgens per SUV in die Privatschule (wie auch der Autor dieser Kolumne das Problem mit seinem Enkel gelöst hat).
Könnte es sein, dass die «Migrationsgesellschaft – und das ist gut so» ebendieser Gesellschaft soeben auf die Füsse fällt?
Nur auf die Füsse? Das wäre ein Glück.