Der Artikel im Zürcher «Tages-Anzeiger» beginnt mit dem Satz: «Die Partei zündelt einen Tag lang mit derben Tönen gegen Asylsuchende und lanciert eine Volksinitiative: In der Schweiz sollen nicht mehr als zehn Millionen Menschen leben.»
«Zündelt»?
Das Wörtchen suggeriert, was die Operation Libero als «brandgefährlich» bezeichnet. Die Schweiz soll sich vor der Migrationspolitik der SVP fürchten und aufpassen, damit das Zündeln nicht den Brand entfacht, den die Populistenpartei – auch das gehört zur bösen Suggestion – ja eigentlich herbeisehnt.
Mit dieser Darstellung wird abgetan, was die Bürger noch nicht einmal diskutieren konnten: die 10-Millionen-Initiative. Um das verantwortungslose Vorhaben zu verurteilen, genügt die Nennung des Absenders:
Schweizerische Volkspartei – SVP.
Ja, so simpel geht das. Seit je. Im Fall der Minarett-Initiative ebenso wie im Fall der Ausschaffungs-, der Masseneinwanderungs-, der Durchsetzungs-, der Selbstbestimmungs- oder der Burka-Initiative: Immer sitzt die Partei des Patriarchen Blocher auf dem Schandbänklein der Angeklagten und soll sich bitte erheben – mit schuldbewusst niedergeschlagenen Augen, versteht sich –, wenn die Richter der Medien auftreten.
Die SVP ist die grösste Partei der Schweiz. Macht sie vielleicht etwas richtig?
Das darf natürlich nicht sein. Weil das bedeuten würde, die anderen Parteien samt ihren medialen Mahnwachen machen etwas falsch. Und das ist unter gar keinen Umständen möglich. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma: Die Wählerinnen und Wähler der SVP wählen falsch, sind also verantwortungslos, nämlich brandgefährliche Zündler.
Der Bannfluch über die rechten Populisten läuft auf Wählerbeschimpfung hinaus, und zwar nicht nur in der Schweiz, sondern im ganzen nachbarlichen Europa, von Melonis Italien über Le Pens Frankreich bis zu Weidels Deutschland.
Was aber, wenn etwas dran wäre am unbeirrbaren Beharren der rechten Rechten?
Es ist etwas dran: Die Populisten politisieren mit einem Thema, das ihre Wähler beschäftigt, beunruhigt, beängstigt: die Migration aus Asien und Nordafrika – aus religiös-kulturell unvertrauten Gefilden.
Das Unbehagen der Schweizer Bevölkerung ist längst auch Parteien geläufig, die das Thema Migration nahezu ausschliesslich aus Sicht der Migranten betrachten. Die Flüchtlinge und Einwanderer haben aus dieser Perspektive, wie sie vor allem Linksgrün propagiert, absolute Priorität – man ist ja kein Unmensch.
Schweizerinnen und Schweizern dagegen, die sich bedrängt fühlen, bleibt bloss die SVP. Für allzu viele unter ihnen sind die Rechtspopulisten schon «meine SVP» – nicht mehr zurückzuholen durch Parteien, denen solche Wähler aus dem Blickfeld geraten sind.
In Frankreich brannten dieser Tage und Nächte die Vorstädte: als Folge unbewältigter Migrationskonflikte. Könnte es nicht sein, dass eher die Verdrängung der Einwandererproblematik «brandgefährlich» ist – dass in Wirklichkeit diejenigen «zündeln», deren Politik aus Wegsehen besteht?
Die Schweiz hat – gottlob? – die SVP mit ihren ungeschlachten Volksinitiativen, die das heisse Migrationsthema immer wieder auf die Tagesordnung setzen – und damit eine über Monate und Jahre andauernde Debatte lostreten, in die auch die Themenverweigerer gezwungen werden. So findet durch permanentes Bürger-Engagement ein Prozess statt, für den Seelendoktoren einen Begriff haben:
Psycho-Hygiene – im vorliegenden Fall also Demokratie-Hygiene.
Für diesen Läuterungsvorgang steht die SVP. Sie muss dabei nicht sympathisch sein. Man muss ihr auch nicht zustimmen. Und ihre Schreihälse, die nach rechts aussen keine Berührungsängste kennen, sind dadurch nicht entschuldigt.
Doch nützlich ist sie, diese Partei eines grossen und offensichtlich zunehmenden Volksteils. Nützlich könnten auch ihre bürgerlichen und linksbürgerlichen Konkurrenten sein, wenn sie sich dem Unwillen dieses SVP-Volkes endlich annehmen würden.
Würden, täten, müssten, könnten …