Alles, womit die Medien in den Tagen seit dem Tod der Queen die Menschen überfluteten, ist wahr – und in allen Herzen dokumentiert als Erinnerung, als Empfindung, als Bild:
Weltfrau Elizabeth.
Die Überschwänglichkeit der Trauer macht mehr aus ihr, als sie sein wollte: die Mater familias Grossbritanniens. Zu Beginn ihrer Zeit war das Land noch ein globales Imperium, am Ende ihrer Zeit ist es eine europäische Nation. Oh ja, das Commonwealth, auch das gibt es noch. Doch die digitale Generation muss googeln, um zu erfahren, was dieser verstreute Rest des Welt-Reiches bedeutet.
Also wird die Königin in den Nachrufen überschätzt, wie auch ihr Leben überschätzt wurde, wie überhaupt das ganze Königshaus überschätzt wurde – weil es so schöne Bilder lieferte und Geschichten: von Margaret, der Schwester, die Peter Townsend, den Mann, den sie liebte, nicht heiraten durfte, über Diana, die mit demütig-charmantem Niederschlagen ihrer grossen Augen die Medien gegen Charles, den Gatten, in Stellung brachte, bis zu Meghan Markle, die der Familie im Buckingham-Palast mit Hollywood-Vulgarität zusetzt.
Elizabeth empfing unterdessen reihenweise das jeweilige Regierungspersonal, hörte ihm von Sessel zu Sessel zu, als Vorletztem dem Struwwelpeter Johnson. Ja, die ungeschriebene, aber festgefügte Verfassung des Inselreiches suggeriert, dass den gewählten Politikern lediglich beratende Funktion zukommt, die Monarchin hingegen regiert – Illusionszauber einer Demokratie, die über Atomwaffen verfügt.
Wenn nun alles in Abzug gebracht ist, was die monarchischen Bilder Britannien und der Welt seit Jahrzehnten vorgegaukelt haben – was bleibt?
Die Frau, die als Prinzessin im Krieg ihren Dienst leistete, also unter Winston Churchill, dem Premierminister, der in aussichtsloser Lage die Insel vor den Nazis rettete, der damit die Welt vor Hitler rettete, weil es für ihn, den Krieger, angesichts dieses Deutschlands gar keinen anderen Gedanken gab als: Kampf für die Freiheit!
Die junge Frau Elizabeth lernte die Lektion ihres Lebens:
Bei Winston Churchill – dem politischen Giganten des zwanzigsten Jahrhunderts.
Dann wurde sie Königin. Und war seitdem einfach immer da. In dieses Da-Sein fiel das Ende des institutionellen Rassismus im Südafrika der Apartheid – ohne blutige Revanche-Revolution der so lange drangsalierten Schwarzen gegen die entthronten weissen Herren. Den friedlichen Übergang bewerkstelligte ein ehemaliger Häftling der Rassisten vom Kap:
Nelson Mandela – die zweite Gross-Figur des zwanzigsten Jahrhunderts.
Schliesslich waltete die Königin ihres Amtes in einer Zeit der Befreiung der Welt von kommunistischer Bedrohung und Unterdrückung – dem segensreichsten Bruch der Zeitgeschichte, möglich gemacht durch einen Kommunisten, der an die Läuterung des Kommunismus glaubte:
Michail Gorbatschow – der dritte ganz Grosse des zwanzigsten Jahrhunderts.
Immer war sie da, die zarte Frau im Deuxpièces, die Tasche am Arm und den Hut auf dem Kopf, wenn es nicht gar die Krone war: Königin Elizabeth II. von England – unsere Vertraute, die wir auch von ferne und von hinten sogleich erkannten, am bedächtigen, leicht gebeugten Gang.
Eine Persönlichkeit, in der sich ihr Jahrhundert spiegelte.
Das Geschehen der Zeit braucht Hintergrund, um erkennbar zu werden. Der schönste, der lichte Hintergrund ist ein Mensch, eine Frau, eine Königin – Elizabeth.
Lichtgestalt der Geschichte.