So findet nun also doch kein «Konkordanzgipfel» der grössten Schweizer Parteien statt: Thema der vier Bundesratsparteien plus Grünen und Grünliberalen wäre die künftige Verteilung der Bundesratssitze gewesen. Bislang, seit 1959, regieren FDP, SPS, CVP und SVP das Land gemeinsam, über alle parteilichen Konflikte hinweg.
Mit ihrem Verzicht auf das Gipfelgespräch reagieren die Grossparteien auf den Entscheid der SVP, einen ihr angehörigen Bundesrichter nicht mehr zur Wahl vorzuschlagen, weil er in mehreren Urteilen gegen die Linie der Volkspartei verstossen habe.
Richter als Büttel ihrer Partei – das verstehen die Rechtspopulisten unter der verfassungsmässig verankerten Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt.
Damit begeht die SVP eine Grenzverletzung ganz grundsätzlicher Art: Sie verletzt das System der Gewaltenteilung, wonach die Judikative ihre Pflicht unabhängig von Legislative und Exekutive zu erfüllen hat, also unabhängig von jedweder Programmatik der politischen Parteien.
Die Populisten-Partei ist berüchtigt für gezielte Grenzverletzungen: wenn sie beispielsweise Abstimmungspropaganda mit Nazi-Motiven betreibt, wenn sie den Bundesrat des Landesverrats bezichtigt.
Diesmal aber missachtet die SVP die Gewaltenteilung in der Demokratie. Und damit die Demokratie in ihren Grundlagen.
Es reicht.
Dass die demokratischen Parteien des Landes dies nun auch so sehen und mit einer solchen Bewegung nicht zum «Konkordanzgipfel» zusammenkommen wollen, ist wohltuend konsequent. Offenbar spürt man, dass es um die Substanz des politischen Systems geht. Offenbar erkennt man auch, dass sich die Frage stellt, wie lange und wie weit die äussere Rechte ihr Spiel mit der demokratischen Kultur noch als Partei treiben darf, die sich mit zwei Bundesräten schmückt.
Christian Levrat, Präsident der SPS, spitzt die Antwort auf diese Frage allerdings provokativ zu: Seine Sozialdemokraten sollen nächste Woche keine Bundesrichter wählen, die von der SVP vorgeschlagen wurden, denn anders als jener Bundesrichter, den die SVP wegen Ungehorsams nicht mehr will, hingen ja doch «die restlichen elf Richterinnen und Richter der SVP am Gängelband der Partei».
Ist das eine kluge Reaktion auf die Reaktionäre? Im Gegenteil: Levrat, ein gescheiter Kopf und geschickter Taktiker, verrennt sich gerade – in eine ganz ähnliche Richtung wie die SVP mit der Nichtwahl ihres unbotmässigen Bundesrichters.
Der SPS-Präsident strebt seinerseits eine Politisierung der Richterwahl an, also eine Instrumentalisierung der richterlichen Gewalt durch die Politik. Er begründet dies paradoxerweise damit, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung von jedweder Partei-Ideologie durchsetzen zu wollen.
Ein absurdes Spiel.
Levrats Spiel geht auch nicht auf, denn es untergräbt die Bundesverfassung, die Bundesrichter aufgrund von Parteivorschlägen vorsieht und ihnen zugleich parteiunabhängiges Richten abverlangt. Der Geist der unterschiedlichen politischen Strömungen im Volk – wozu eben auch die der SVP zählt – soll die Rechtskultur des Bundesgerichts grundieren.
Was unterscheidet die Nichtwahl der SVP-Richter durch die SPS von der Nichtwahl eines SVP-Richters durch die SVP selbst?
Eben!
Christian Levrat ist zu intelligent, um nicht zu sehen, wie sehr er sich gerade verhaspelt. Ein Satz verrät sein Un behagen: «Wenn ich mir die Hände schmutzig machen muss, dann ist es nun einmal so.» Das klingt pathetisch nach Opfergang. Deshalb wäre dem grossen Präsidenten der schweizerischen Sozialdemokratie, der sein Amt demnächst in Juso-Kinderhände legen wird, fürsorglich zuzurufen:
Nichts ist nun einmal so!