Frank A. Meyer – die Kolumne
Kulturkampf

Publiziert: 24.10.2020 um 23:52 Uhr
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Aktualisiert: 25.10.2020 um 00:07 Uhr
Frank A. Meyer

Mattea Meyer, neue Präsidentin der SPS im Doppelpack mit Cédric Wermuth, kontert den Vorwurf, sie habe als Akademikerin und Politikerin keine Ahnung von den Sorgen und Nöten der Menschen, wie folgt: «Ich habe zwar kein Unternehmen gegründet, weiss nicht, wie sich ein Pflegejob anfühlt und arbeitete noch nie auf dem Bau. Aber ich höre Menschen zu und suche mit ihnen gemeinsam Lösungen.»

Ein ehrlicher Satz. Aufschlussreich überdies. Allein die Wendung «wie sich ein Pflegejob anfühlt» verweist auf das Problem, das Mattea Meyer hat: Pflegerinnen und Pfleger machen keinen «Job». Sie arbeiten in einem erlernten, äusserst anstrengenden und höchst verantwortungsvollen Beruf. Sie sind Berufsleute. Nicht Jobber. Jobber sind beispielsweise Studenten, die während des Studiums mal etwas verdienen möchten, wie einst die Studentin Mattea Meyer.

Berufe fühlen sich auch nicht an. Man arbeitet in ihnen oder führt sie aus. Anfühlen tun sie sich allenfalls für Studentinnen, die daran schnuppern, um ein bisschen Ahnung vom wirklichen Leben zu bekommen, wie einst Mattea Meyer.

In der Tat, manchmal verrät die Sprache, was man gar nicht sagen wollte.

Auch die folgende Formulierung verrät, was Mattea Meyer gar nicht sagen wollte: «Ich höre den Menschen zu und suche mit ihnen gemeinsam Lösungen.» Die SPS-Präsidentin sieht sich also getrennt von den Menschen, für die sie politisch aktiv sein möchte: Sie gehört nicht zu ihnen, sie entstammt nicht ihrer sozialen Kultur.

Sie leiht ihnen das Ohr.

Welch feudal-herrschaftliches Bild: Mattea Meyer neigt sich ihren Schutzbefohlenen zu, um deren Sorgen und Nöte zu erlauschen. Ein besonders demokratisches Bild ist das nicht, schon gar nicht ein sozialdemokratisches.

Aber es ist eben das zeittypische Bild, offenbart es doch das wahre Verhältnis der hippen Sneaker-Sozialisten im Fridays-for-Future-Outfit zu ihrer «Basis», wie man gewöhnliche Genossinnen und Wähler in universitären Gefilden gerne nennt:Wir da oben kümmern uns um euch da unten. Zur Gnade, die den Umsorgten durch die linken Kümmerer zuteilwird, zählt auch die Versicherung, dass die SPS-Präsidentin bereit ist, «mit ihnen gemeinsam Lösungen» zu suchen – Mattea Meyer, mater familias mit
ihren Kindern.

Sind das semantische Spitzfindigkeiten?

Sie zeigen die Distanz zwischen dem Gemeinten und dem Tatsächlichen: Die beiden neuen Co-Präsidenten repräsentieren die Sozialdemokratie, wie sie sich heute versteht. Wohingegen diejenigen, die früher die Sozialdemokratie verkörperten, nicht mehr dazugehören. Sie wählen SVP.

Richtig, auch die Mattea-Meyer-Cédric-Wermuth-SPS macht Arbeitnehmerpolitik: Von der Endmoräne des Marxismus herab fordert sie «höhere Renten und Löhne sowie tiefere Mieten und Prämien» – sozialdemokratisches Business as usual. Im Übrigen gilt ihre Leidenschaft «gesellschaftlichen Nützlichkeitszonen», dem erneut drohenden «Manchesterkapitalismus» und natürlich ganz besonders den «Migrantenrechten» sowie «feministischen und LGBTQ-Forderungen».

LGBTQ?

Nomen est omen, der Begriff als Programm. Wessen Programm? In der legendären Bieler SPS-Sektion Madretsch stand einst Ernst Stauffer für dieses Programm, Arbeiter und Spanienkämpfer mit einer Schussnarbe im Gesicht. Er lieh niemandem das Ohr. Er war die Partei.

Ja, die Ernst Stauffers waren die Sozialdemokratie.

Freilich, das ist lange her. Und genau hier liegt das Problem. Eine Führungsschicht hat die Linke in Besitz genommen, deren Privilegien das Ergebnis der Kämpfe ihrer Grossväter- und Väter-Genossen sind – der Ernst Stauffers: mittelständische bis wohlhabende Familien, universitäre Bildung, Auslauf in alle Welt, bestimmende Positionen in der Gesellschaft, Kaufkraft fürs kapitalistische Konsumparadies.

Gegen dieses Erbe aus den Händen der abgetretenen Kämpfer – der alten weissen Männer – wäre nichts einzuwenden, im Gegenteil. Vor allem wäre es Verpflichtung. Wäre? Ja, wäre da nicht die Entfremdung der jüngsten Links-Generation vom Arbeitnehmer-Milieu: Den Digital-Globalisten, die heute in der Sozialdemokratie das Sagen haben, ist die Utopie von der kulturellen Entgrenzung der Welt näher als das Festhalten der gewöhnlichen Arbeitnehmer am kulturell Eigenen.

Die Nation dekonstruieren, um Internationalität zu installieren; Werte-Diversität statt nationale Identität; Migranten statt Malocher als neues Proletariat, das zu führen man sich erträumt.

Was gerade stattfindet, nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa, ist kein Kampf um Renten und Löhne – worüber man sich ja rasch einig wäre. Was hier stattfindet, ist ein Kulturkampf: Der Griff nach den globalen Gendersternchen – gegen die Geborgenheit im eigenen Land.

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