Frank A. Meyer – die Kolumne
Herrschaften

Publiziert: 19.05.2024 um 00:22 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» («FAZ»), Deutschlands Blatt «für kluge Köpfe», publizierte es als Seitenaufmacher: das Foto einer Studentin, wild-modisch frisiert, ein Palästinensertuch attraktiv um den Hals drapiert, die Fingernägel rot und lang. Mit drohend erhobenem Zeigefinger fuchtelt sie vor dem Kopf eines Polizisten herum, der abwehrend die linke Hand auf Brusthöhe hält und der dozierenden Demonstrantin ratlos-aufmerksam zuhört.

Das Bild zur Zeit.

Westweltweit bestimmt politischer Protest – teilweise gewalttätig – den Alltag an den Universitäten von Berkeley über Berlin und Basel, bis die Polizei auf dem Campus erscheint. Man darf es durchaus auch so formulieren: damit die Polizei auf dem Campus erscheint. Die Ordnungshüter, von machtlosen Uni-Leitungen zu Hilfe gerufen, geben dem Geschehen die gewünschte Bedeutung.

Die akademische Jugend begehrt auf.

Wogegen? Natürlich gegen Israel, natürlich in Solidarität mit der Terrororganisation Hamas, natürlich mit antisemitischen Unter- und Obertönen.

Endlich darf man wieder fordern, was man so lange unterdrücken musste: Schluss mit dem Judenstaat! Wer dann noch den Begriff Staat streicht, sagt, was er wirklich denkt, denkt er doch wie die Hamas.

Eine frappant ähnliche Inszenierung erlebte die westliche Uni-Welt schon einmal 1968, natürlich in anderer Kostümierung: gegen die USA. Auch damals war es ein Kommilitonen-Kampf gegen Krieg, also gerecht, also jeder berechtigten Widerrede enthoben, brachial-belehrend gegen die Politik, natürlich auch gegen die Polizei, die gewalttätigen Demonstrationen für den Sieg des kommunistischen Vietcongs in Vietnam Einhalt zu gebieten versuchte.

In den Hörsälen, auf dem Rasen vor den Bildungsstätten, in den Strassen der Metropolen die von Antiimperialismus getriebene und von Sehnsucht nach Gerechtigkeit verzehrte junge Generation – fassungslose Eltern als Zeitzeugen.

Man war wichtig, wenn man Student war. Genau wie die junge Frau auf dem «FAZ»-Bild dieser Tage.

Die Revoluzzer von damals entsprangen einer Gesellschaft, die westlichen Wirtschaftserfolg geniessen durfte: konsumverwöhnt und ganz der ersten grossen Freiheit nach dem fürchterlichen Weltkrieg hingegeben – nicht zuletzt dem Aufstand gegen die Eltern, dem obligaten Vatermord, dem Anspruch, die langweilige, demokratische, kapitalistische Welt zu zerstören.

Der universitäre Feldzug galt vor allem den USA und ihrem Krieg gegen den Kommunismus in Südostasien.

Was ist Vietnam heute? Eine kommunistische Diktatur. Was wäre Südvietnam heute, hätten die USA obsiegt? Eine erfolgreiche Nation wie Südkorea.

Der aktuelle Ansturm gegen westliche Werte entspringt auch diesmal einer Generation, die den Wirtschaftserfolg wie keine andere geniessen durfte: die Früchte der Freiheit nach dem Ende des Kalten Krieges, die Globalisierung mit ihren grenzenlosen Angeboten an die Akademikerjugend.

Wer würde da nicht übermütig? Die verführerische Leichtigkeit des Seins fordert heraus: zur mutwilligen Solidarität mit Terroristen, zur Solidarität mit der Unfreiheit – mit der Hamas wie einst mit dem Vietcong.

Aber worum geht es wirklich? Das Foto in der «FAZ» macht es deutlich: um die Macht der akademischen Elite über die einfachen Bürger.

Die Macht der Studentin über den Polizisten.

Der Kampf der 68er war erfolgreich: Sie wurden Bosse in Politik, Wirtschaft und Kultur – die herrschende Klasse. Ihre Grosskinder verfolgen, wenn die Romantik der Revolte demnächst verflogen sein wird, dasselbe Ziel: Spitzenjobs zu ergattern, «Heads of» zu werden, wie es heute heisst – überall im Gefüge der Gesellschaft.

Die Studentin: Mitglied der kommandierenden Klasse. Der Polizist: Mitglied der Arbeiterklasse.

Das Bild zur Zeit.

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