Frank A. Meyer – die Kolumne
Heimat Sprache

Publiziert: 27.11.2022 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 10.12.2022 um 20:10 Uhr
Frank A. Meyer

Die «SonntagsZeitung» berichtet über eine Aargauer Schule, die auf dem Pausenplatz eine Deutschpflicht eingeführt hat. Grund: Der hohe Anteil von Migrantenkindern. Dies bedeutet das Verbot, eine andere Sprache zu sprechen als Hochdeutsch oder Schweizerdeutsch, auch Dialekt genannt.

Aber was ist überhaupt Schweizerdeutsch? Ganz bestimmt kein Dialekt. Vielmehr ein Sammelbegriff für alte deutsche Sprachen und Sprachformen, die sich in der bergig-zerklüfteten Eidgenossenschaft über Jahrhunderte erhalten haben – bis hinein in unsere Zeit des Globalesisch.

Zürichdeutsch, Urnerdeutsch, Walliserdeutsch sind Sprachen von grosser Ausdrucksstärke, Berndeutsch sogar eine Sprache mit eigener Literatur. Der als deutscher Klassiker gerühmte Jeremias Gotthelf, ein Emmentaler, wäre ohne das Berndeutsch, mit dem er seine Werke würzt, nicht denkbar. Auch der verspielt-sinnliche Emmentaler Friedrich Dürrenmatt wurzelt mit seinem Welttheater im Berner Boden. Zürichdeutsch dagegen prägt mit zwinglianischer Strenge den Sprachstil des rund um den Globus gelesenen Romankomponisten Max Frisch.

Die schweizerdeutschen Sprachen sind Muttersprachen der Deutschschweizer, Intimsprachen, Seelensprachen, Heimatsprachen – und damit Sprachheimaten. Heute werden sie vielfach abgewertet als «Dialekte», die nun mal dem Migrantenslang weichen müssen, sei es einem Kauderwelsch aus Nordafrika und Südosteuropa oder Englisch aus den Wohnquartieren wohlhabender Expats.

Deutsch hingegen – Hochdeutsch genannt – ist eine der helvetischen Landessprachen.

Das erste sprachliche Empfinden der Schweizer Kinder entsteht in der Geborgenheit der familiären Sprache – ihrer Muttersprache. Mit dem Schulunterricht entwickelt sich die eigentümliche Zweisprachigkeit der Deutschschweizer: Das stille innere Übersetzen aus ihrer regional eng umgrenzten Muttersprache in die Landessprache, beispielsweise aus dem Oberwalliserdeutsch ins Hochdeutsche.

Mag die Mühe des Übersetzens im Kopf durch Gewohnheit und Übung ins Unbewusste entschwinden, der Vorgang bleibt doch prägend. Sogar für Dichter: Sie schreiben oft das bewusstere, das feiner ziselierte Deutsch als ihre deutschen Kollegen. Zum Beispiel der Bieler Jörg Steiner oder der Solothurner Peter Bichsel oder der Zürcher Adolf Muschg oder der Zuger Thomas Hürlimann oder eben Dürrenmatt und Frisch: subtilstes Setzen der Sätze, ständiges Sprachbewusstsein, also ständige Spannung – poetische Distanz zum geschriebenen Wort.
Die schweizerdeutschen Sprachen sind die Schweiz – ihre innerste und innerlichste Kultur, ihre Essenz.

Doch es gibt noch die andere Seite: die der Migranten. Sie sollen und wollen sich integrieren. Das geschieht am intensivsten über die Sprache. Die schweizerdeutschen Idiome sind ein Angebot, in die Schweiz einzutauchen, sich die Schweiz zu eigen zu machen, bis hin zur Assimilation. Kinder bringen die dafür notwendige Sprachneugier von Geburt an mit. Junge Migranten führen zu Hause gerne vor, wie sehr sie schon Schweizerinnen sind, indem sie deutschschweizerisch auftrumpfen – zum Unverständnis der fremdsprachigen Eltern.

Integration gelingt über die Sprache. Voraussetzung dafür ist eine genügend grosse Mehrheit von Schweizer Kindern in den Schulen – die früheste Integrationsinstanz der Mehrheitsgesellschaft.

Wo sich die Zahlenverhältnisse umgekehrt darstellen, können sich junge Migranten nicht integrieren, es kommt zu problematischen Formen der Gegen-Integration von Schweizer Kindern durch die Ausländerjugend.

Dazu zählt auf den Schulhöfen die Demonstration von Männlichkeit durch das Messer, die Übernahme antisemitischer Ausfälligkeiten, das übergriffige Machogebaren gegenüber Mädchen. An Schulen mit Migranten-Dominanz ist patriarchale Gewaltkultur ein explosives Problem – und provoziert Ausländerfeindlichkeit.

Auch sind Schulen, in denen die einheimische Jugend gefühlt zur Minderheit wird, für die Zukunft eben dieser Kinder problematisch: In Klassen mit zu vielen Kindern, die der Landessprache nicht mächtig sind, kann der Lehrstoff nur noch gebremst vermittelt werden – ein Nachteil für die Kinder bei ihrem Start ins Leben. Heinz-Peter Meidinger, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, redet dazu Klartext: «Eine entscheidende Ursache für den Leistungs-abfall an Grundschulen ist der in den letzten zehn Jahren um über 50 Prozent gestiegene Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund.»

Vermögende Familien schicken ihren Nachwuchs deshalb auf private Nobelschulen – Familien, die nicht selten eine grossspurige Willkommenskultur für Ausländer predigen.

Die Deutschschweizer Muttersprachen sind als Pausenplatzsprachen unverzichtbar. Die deutsche Landessprache ist als Unterrichtssprache unverzichtbar.

Es gilt, die kulturelle Identität der Schweiz zu bewahren – ganz besonders in ihrer komplizierten und komplexen, aber ausserordentlich kreativen Deutschschweizer Sprachenvielfalt.

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