Frank A. Meyer – die Kolumne
Geist statt Zeitgeist

Publiziert: 15.12.2019 um 12:05 Uhr
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Aktualisiert: 15.12.2019 um 12:44 Uhr
Frank A. Meyer

Weil es ja nun ums Ganze geht, ums Gute überdies, also ums grosse Ganze, um Klimakatastrophe, Klimaschutz und Klimagerechtigkeit, muss das System umgebaut werden: das Schweizer Bundesratssystem. Denn hat sich nicht am vergangenen Mittwoch auf erschreckende Weise gezeigt, dass die Formel, nach der im Alpenland die ­Regierung gewählt wird, dem Zeitgeist nicht gerecht zu werden vermag?

Keine grüne Bundesrätin! Kann man gröblicher gegen Gretas Gebote verstossen?

Einer der angesehensten und gebildetsten und kultiviertesten Politiker im Bundeshaus hat sich der gebieterisch gestellten Zukunftsfrage angenommen: Gerhard Pfister, Präsident der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP). Er fordert eine Remedur des von ihm diagnostizierten Bundesrats-Malaise:

Erstens sollen Bundesräte nur noch maximal acht Jahre lang amten, um die Besetzung des Kollegiums rascher den wechselnden Zeitläuften anzupassen.

Zweitens sollen Rücktritte während der Legislaturperiode ausgeschlossen werden, um parteitaktische Wechsel innerhalb der Landesregierung zu verhindern.

Klingt doch gut, klingt doch modern! Da hat einer, dem auch philosophische Gedankengänge geläufig sind, übers grosse Ganze nachgedacht. Soll man ihm, darf man ihm widersprechen?

Zunächst nur eine zaghafte Frage zur bisherigen Bundesrats-Wahlkultur: Hat sie versagt? Hat sie der Schweiz unfähige Regierungen beschert? Liegt eine Staatskrise vor?

Nichts von alledem! Nicht einmal am Mittwoch geschah staatspolitisch Unverantwortliches. Eine Partei, die rasant und siegreich auf einer Gefühlswelle ins Parlament surfte, darf sich nicht gleich in einen Bundesratssessel plumpsen lassen. Na und? Bodenständige Vernunft hat sich durchgesetzt.

Was aber würde es nun bedeuten, wenn die Regierenden nach acht Jahren zurücktreten müssten? Das hohe Amt des Bundesrats verkäme zum Durchlauferhitzer für Karrieren: Werde möglichst jung Bundesrat – und die Welt des wirtschaftlichen Grosserfolgs steht dir offen!

Bisher wars anders, auch wenn sich die vorzügliche CVP-Bundesrätin Doris Leuthard gerade bei einem Eisenbahnunternehmer als Verwaltungsrätin verdingt hat – eine Geschmacklosigkeit der besonderen Art, mehr nicht.

Bedeutsame Bundesräte blieben oft länger als acht Jahre im Amt: so Hans-Peter Tschudi, Kurt Furgler, Hans Hürlimann, Willi Ritschard, Adolf Ogi, Moritz Leuenberger, Kaspar Villiger, Flavio Cotti. Ihre Erfahrung, ihre eingeübte Sensibilität für die kollegiale Verantwortung der Schweizer Regierung sicherte die politische Kultur des Landes.

Gerhard Pfister moniert: «Wenn acht Jahre für einen amerikanischen Präsidenten genug sind, weshalb nicht für ­einen Bundesrat?»

Das ist ein seltsam pampiger Vergleich: In der Schweize­rischen Eidgenossenschaft wäre Trump einer von sieben – für Egomanen mit Führer­anspruch eine unerträgliche Deklassierung. Die Schweiz kennt das als Problem des ­gescheiterten Christoph ­Blocher.

Zur zweiten Forderung des CVP-Präsidenten, keine Rücktritte während der Legislaturperiode: Bundesräte, die den Versuch trotzdem wagten, müssten der Bundesversammlung wohl ein Arztzeugnis vorlegen – erschöpft durch Überarbeitung, Burn-out, Krankheit, was immer sich so vorbringen liesse. Auf jeden Fall eines Bundesrates unwürdig.

Genau um die Würde, die das höchste politische Amt verleiht, geht es: um die Freiheit zu bleiben oder zu gehen, je nach persönlicher, politischer, auch parteilicher Einschätzung. Ja, sogar Parteitaktik ist gestattet: Das Bundeshaus ist ein Ort der Politik, kein Pfadilager.

Die Republik Schweiz kennt keinen Adel. Doch sie kennt eine Regierung, deren Mitglieder eine Art republikanische Aristokratie verkörpern: die höchsten Respekts-Persönlichkeiten in der Pflicht des Landes. Woche für Woche schaffen sie in ihren Bundesratssitzungen eine Kultur der kollegialen Verantwortung. Sie bilden das Staatsoberhaupt. Gemeinsam.

Daraus leitet sich die Glaubwürdigkeit der Institution Bundesrat ab. Woraus wiederum die einzigartige Aura der Schweizer Regierung hervorgeht:

Geist statt Zeitgeist.

Politiker sind keine Dealer
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«frank & frei»:Politiker sind keine Dealer
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