Der Freisinn im Kanton Bern will keine Listenverbindung mit der Schweizerischen Volkspartei. Die FDP im Kanton Schaffhausen verzichtet ebenfalls auf eine Listenverbindung mit der SVP. Und die FDP Berner Oberland lud am Mittwochabend zur Europa-Debatte über das Rahmenabkommen. Nationalrätin Christa Markwalder trat gegen SVP-Präsident Albert Rösti an. Ein Echo danach: «Rösti kam mit langen -Hosen rein und ging mit kurzen raus.» Gymnasiasten gratulierten der Siegerin des Duells.
Die «Neue Zürcher Zeitung» stellt fest: «Zwischen den bürgerlichen Partien öffnet sich eine Kluft so gross wie lange nicht mehr.»
«Zwischen den bürgerlichen Parteien»? Wie bürgerlich ist eine Partei, die auf Wahlplakaten die politischen Konkurrenten als Maden zeigt? Wie bürgerlich ist eine Partei, die solche faschistische Propagandagrafik auch noch aggressiv rechtfertigt?
Die SVP trete die politische Kultur der Schweiz mit Füssen, war am freisinnigen Wahlparteitag in Aarau zu hören. Den Freisinn muss dies ganz besonders treffen, denn die politische Kultur der Schweiz ist freisinnig. Allerdings im Sinne des Wortes. Nicht im Sinne der Partei, die in den vergangenen 25 Jahren ihre staatspolitische Ur-Philosophie einem erniedrigenden Schulterschluss mit der nationalistisch-reaktionären SVP geopfert hat. «Rucksackpartei» musste sich die einst so stolze Garantin bürgerlicher Tugenden nennen lassen: Sie hatte sich dem milliardenschweren SVP-Besitzer bis zur programmatischen Unkenntlichkeit bewundernd und dienend unterworfen.
Gibt es einen stolzeren politischen Begriff als «Schweizer Freisinn»? Gab es ein erbärmlicheres Bild als diesen Freisinn am Gängelband eines Oligarchen?
Der tiefe Fall der FDP hatte fatale personelle Folgen: Die Partei der Schweizer Wirtschaft verlor ihr intellektuelles, ihr kulturelles Profil, das noch vor gar nicht langer Zeit verkörpert wurde durch Parlamentarier wie Petitpierre, Tschopp, Schoch, Mühlemann, Bonny, Barchi, Salvioni, Generali, Segond, Kopp, Steinegger, Reich, Rhinow – um nur einige zu nennen.
Ihnen sass Fraktionspräsident Ulrich Bremi vor, ein Bismarck der Schweizer Wirtschaft, mächtig – und mächtig neugierig. Die Denker und Debattierer unter seinen Parteifreunden nannte er «meine Grenzbefestigungen».
Doch die Grenzen fielen. Nach rechts.
Wird das nun wieder anders? Es müsste, wenn der Freisinn endlich in seine historische Rolle zurückfinden will. Denn das Land bedarf einer emanzipierten FDP. Es hat sie sogar dringend nötig. Die Probleme der Globalisierung
erfordern politische Antworten – in wahrhaft bürgerlicher Gestaltung.
Die Schweiz braucht Führungs-Freisinn!
Bei der FDP sind in der Tat wieder Köpfe zu erkennen, die an die intellektuell-kulturelle Tradition des Freisinns der Achtziger- und Neunzigerjahre erinnern: Markwalder, Wehrli, Hiltpold, Damian Müller, Walti, Merlini, Dobler. Die Schweiz braucht radikale Köpfe im klassischen Sinn, denn sie braucht den kreativen Streit: unter Gegnern – nicht unter Feinden.
Gelingt dem Freisinn die Wende zum Freisinn?