Frank A. Meyer – die Kolumne
Fanal

Publiziert: 22.02.2020 um 22:24 Uhr
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Aktualisiert: 23.02.2020 um 14:50 Uhr
Frank A. Meyer

Was ist das Attentat von Hanau? Eine Wahnsinnstat? Wie anders soll man die Ermordung von neun Menschen bezeichnen, zumal der Täter am Ende auch noch sich und seine Mutter getötet hat?

Ein Massaker an Menschen mit Migrationshintergrund: Ist das wirklich nur Wahnsinn?

Rassismus, gesteigert zur Lust an der Vernichtung von Menschen, die man bewusst nach ihrer Herkunft aussucht – nein, das ist nicht einfach Wahnsinn. Was am Mittwoch in Hanau geschah, entsprang einer Überzeugung, die sehr wohl eine rationale Grund­lage hat. Auf 24 Seiten schilderte Tobias R. den Denkwirrwarr, der ihn zu seiner Tat trieb: Verschwörungstheorien und Fremdenhass und ideologische ­Fixierungen bildeten den Nähr­boden für extremstes Handeln – zehnfachen Mord, dann Selbstmord.

Der 43-jährige deutsche Bürger, der sich aufmachte, um fremde Menschen abzuschlachten, ging nicht ziellos vor. Ganz im Gegenteil, er handelte gezielt – als Sportschütze und als Hasser.

Als politischer Hasser!

Ja, das Attentat von Hanau war ein bewusster, gezielter politischer Anschlag. Die Morde sollten öffentliche Wirkung erzielen. Bei denen, die das Denken des Mörders teilen, vor allem aber auch bei denen, die sein Denken verabscheuen. So nämlich sehen sich die Helden des Hasses – im Zentrum aller Aufmerksamkeit. Ihr Vermächtnis lautet: Ich vollbrachte eine grosse Tat! Ich habe getötet! Ihre existenzielle Erfüllung: Ich war da!

Voraussetzung dazu ist ein gedanklicher Sumpf, in dem man gedeiht und in dem man schliesslich heroisch emporsteigt. Zum Beispiel der Faschismus, in Deutschland präziser bezeichnet als Nazismus: auferstanden aus der Ursuppe der irrationalsten politischen Rationalität, erdacht von Joseph de Maistre und Charles Maurras, vollstreckt durch Benito Mussolini und Adolf Hitler im Kampf gegen Aufklärung und freie Gesellschaft, Demokratie und bürgerlichen Rechtsstaat – die Todfeinde der menschenverachtenden Ideologie.

Zu den politischen Eigenheiten der faschistisch-nazistischen Lehre gehört der Hass auf alles Schwache, ganz fundamental der Hass von Schwachen auf die noch Schwächeren: auf Juden, auf Fremde, heute auf Migranten.

Der Triumph des Terroristen Tobias R. erfüllte sich in genau dieser Konstellation.

Der Faschismus ist zudem eine Religion der Reinheit. Der Mörder von Hanau entsprach auch diesem Kriterium. Im bebilderten Manifest, das er hinterliess, zählte er 25 Nationen auf, «die komplett vernichtet werden müssen» – ein Vorhaben, das die deutsche Wehrmacht im Vernichtungsfeldzug gegen die Völker des Ostens bereits vor 80 Jahren zum Ziel hatte.

Tobias R. – der nazistische Tatmensch.

Wie wurde er zu dem, was er war? Wie sein Denken zur Tat?

Es gibt in Deutschland wieder Kräfte, deren rechtsextremes Rumoren ein Reizklima für Rassisten schafft: Man sagt in diesem Milieu zwar noch nicht, was man wirklich meint – und tatsächlich beabsichtigt. Doch die camouflierte und mitunter verräterisch aufleuchtende Botschaft spricht sich herum. Tobias R. meinte, verstanden zu haben.

An dieser Stelle muss der Name einer Partei fallen: Alternative für Deutschland, AfD. Oder der Name einer Bewegung aus Dresden: Pegida. Oder die allgemein übliche Bezeichnung: Rechtspopulismus.

Tragen diese Kräfte die Verantwortung für die Entwicklung Tobias R. zum vielfachen Mörder?

Einerseits nein, denn diese Erklärung des schrecklichen Geschehens von Hanau wäre allzu simpel – ebenso simpel wie der Begriff «Wahnsinnstat».

Andererseits ja, denn AfD wie Pegida wie Rechtspopulismus spielen mit Gefühlen des Hasses gegen alles Fremde – sie be­treiben damit ihr politisches ­Geschäft.

Ausserdem bieten diese Parteien-Bewegungen Faschisten und Nazis nicht nur politische Heimat. Sie ermöglichen ­ihnen auch die Tarnung als Demokraten – bis sie das Versteckspiel nicht mehr nötig zu ­haben glauben.

Wahr ist allerdings auch: Die rechtskonservativen und rechtsnationalen Kräfte werden von Millionen Bürgern gewählt, die im Grunde nichts gegen die Demokratie im Schilde führen. Wenn jetzt die demokratischen Parteien mit dem Finger auf diese Parteien und Bewegungen zeigen, dann zeigen drei Finger auf sie selbst zurück. Womit die Frage gestellt ist: Was habt ihr getan, was habt ihr unterlassen, dass so viele Wähler den Parolen radikaler Rechter folgen?

Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist Hanau ein Fanal, ein Flammenzeichen für alle Demokraten. Über Deutschland hinaus mahnt es: kein politisches Spiel mit Versatzstücken aus dem Arsenal des Faschismus-Nazismus – seien es Wahlplakate, seien es Sprachbilder. Sie wecken ­Geister, die keiner mehr unter Kontrolle ­bekommt.

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