Folgende Schlagzeile war allerjüngst im BLICK zu lesen: «Erdogan rächt sich an der EU.» Eine Botschaft, die uns Schweizer mit einer gewissen Erleichterung erfüllen muss, gilt die Rache des Despoten vom Bosporus doch nicht der Schweiz, sondern ausdrücklich der Europäischen Union, zu der wir Distanz zu halten pflegen, so weit wie immer möglich.
Brüssel zahlt an Erdogan Milliarden, damit er Flüchtlinge, die vorwiegend aus Syrien in die Türkei strömen, auch in der Türkei festhält. Inzwischen ist er glücklos in den Bürgerkrieg im Nachbarland verstrickt, wo russische Kampfflugzeuge für Assad, den syrischen Diktator, türkische Truppen bombardierten. Das kostet Nerven. Und Geld. Darum verlangt er noch mehr Mittel von der EU, andernfalls er den Migrantenmassen endgültig die Grenzen öffnen werde.
Ein bedrohliches Szenario.
Doch damit haben wir ja ebenfalls nichts zu tun. Was die EU tut oder lässt, lässt uns kalt. Wir haben bisher nichts auf Erdogans Flüchtlingskonten überwiesen, also fühlen wir uns auch durch dessen Nachforderungen nicht angesprochen.
Leider war im BLICK einen Tag später zu lesen: «Wir müssen uns auf einen Ansturm an der Grenze vorbereiten.» Die Flüchtlingskrise, die sich soeben an der türkisch-griechischen Grenze dramatisch zuspitzt, könnte die unschuldige, die unbeteiligte, die europaferne Schweiz erreichen. Was heisst erreichen? In Mitleidenschaft ziehen könnte sie die Schweiz. Schmerzhaft treffen sogar: wenn Flüchtlinge und Migranten womöglich morgen schon an unserer Grenze Einlass begehren.
Darum ist hier zwingend eine weitere Schlagzeile zu zitieren, diesmal aus der «Neuen Zürcher Zeitung»: «Die EU muss entschieden auftreten.» Genau – was gesagt sein muss, muss gesagt sein. Wäre ja noch schöner, die Europäische Union liesse die missliche Angelegenheit schleifen. Verantwortungslos wäre das. Nicht zuletzt – aus unserer Sicht natürlich ganz besonders – gegenüber der total unbeteiligten, komplett unschuldigen Schweiz!
Ja, so überaus betrüblich stehen derzeit die Dinge: Wir, die Schweizer, sind nicht EU-Europa, sind sogar weit entfernt davon, es je zu werden – und müssen doch erkennen: Es gibt kein Entrinnen vor dem Schicksal unseres supranational organisierten Kontinents.
Die Schweiz sitzt mitten in der EU- Patsche.
Was bedeutet das? Es bedeutet: Alles, was die Europäische Union unternimmt, um das Drama an der griechisch-türkischen Grenze in geordnete Bahnen zu lenken, geschieht auch im Interesse der Eidgenossenschaft. Für Flüchtlinge und Migranten nämlich ist die Schweiz ein überaus attraktives Zielland: reicher als alle andern, mit einem besseren Sozialsystem als alle andern.
Die Schweiz: das Schlaraffenland.
So tief die politisch-seelischen Abgründe sein mögen, die uns von der vermaledeiten Europäischen Union trennen – die Völkerwanderer aus Afrika und Arabien und Asien scheren sich keinen Deut darum. Sie wissen über ihre Smartphone-Apps nur: Da gibt es doch noch dieses kleine glückliche Land mit seinen tüchtigen, wohlhabenden, freundlichen Menschen, die hoffentlich Herberge bieten!
Und plötzlich schert sich die Schweiz keinen Deut mehr um irgendwelche seelisch-politischen Abgründe, die sie von Brüssel trennen, denn genau dort, in Brüssel, wird gerade über das Schicksal der Schweiz entschieden. Darum unser Stossgebet, man möge dem Erpresser Erdogan entschlossen gegenübertreten, wie es die international kompetente NZZ richtigerweise anmahnt. Was die EU allerdings auch etwas kosten könnte: mehr Geld für die Flüchtlings- und Migrantengeiseln in der Hand des allmächtigen Zuchtmeisters von Ankara.
Geld? Mehr Geld? Schweizer Geld? Gott behüte und alles, was recht ist: Die Schweiz ist die Schweiz ist die Schweiz. Und die EU die EU.
Da bitte soll mal niemand nie und nimmer nichts verwechseln!