Frank A. Meyer – die Kolumne
Die Lust am Massaker

Publiziert: 19.05.2019 um 11:38 Uhr
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Aktualisiert: 19.05.2019 um 12:05 Uhr
Frank A. Meyer
Frank A. Meyer

Die «Neue Zürcher Zeitung» interviewte Steve Bannon, den früheren Strategen von Donald Trump. Die Überschrift der «NZZ» zum Gespräch mit dem heutigen Einpeitscher der Rechtspopulisten für den Europawahlkampf war ein Zitat von Bannon: «Brüssel wird Stalingrad sein».

Auf Seite eins präsentierte das Blatt Bannon mit Bild und einem Text, der ebenfalls sein Zitat hervorhob, und zwar in voller Länge: «Nach der Wahl wird jeder Tag in Brüssel Stalingrad sein. Die Nationalisten werden zusammenarbeiten.»

Was ist Stalingrad?

Im Winter 1942/43 wurde Hitlers 6. Armee im Kampf um die Industriestadt an der Wolga vernichtet. Es war die grosse Wende des Zweiten Weltkrieges. 700'000 Menschen kamen ums Leben, die meisten davon Soldaten der Roten Armee.

150'000 von 275'000 der am Ende ­eingekesselten deutschen Soldaten ­fielen oder starben durch Hunger und Kälte, mehr als 100'000 gerieten in ­sowjetische Kriegsgefangenschaft. Nur 6000 kehrten Jahre später zurück.

Stalingrad war ein gnadenloses Massaker, angezettelt von der deutschen Wehrmacht. Hitlers Vernichtungsfeldzug erlebte in Stalingrad seinen mörderischen Höhepunkt – und ­seine dramatischste militärische
Niederlage.

Steve Bannon will Brüssel nach den Europawahlen «jeden Tag» in ein Stalingrad verwandeln, als geistiger Führer einer Populisten-Armee.

Weshalb redet einer so? Weil ihm das Bild gefällt. Was gefällt ihm an diesem Bild? Das, was es evoziert: ­Gewalt und Grausamkeit und Tod und Elend.

Die Schlacht um Stalingrad steht auch für die Verachtung, mit der die Deutschen über die Menschen in der Sowjetunion herfielen – laut Nazi-Ideologie waren es «Untermenschen». Und sie steht für den Hass, mit dem sich die Überfallenen gegen die deutschen Aggressoren wehrten.

Steve Bannon muss Gefallen finden an diesem Amalgam aus Verachtung und Hass. Weshalb sonst würde er den Begriff Stalingrad auf Brüssel übertragen?

Was ist einer, der sich aufgeilt an der Vorstellung von Gewalt, Grausamkeit, Tod, Elend? Der im schrecklichsten Geschehen der neueren ­Geschichte das Bild findet für seine politischen Phantasmen?
Steve Bannon ist kein Psychopath. Der Amerikaner, der Brüssel vernichten will, ist ein politisch versierter Führer: eine faschistisch funktionierende Persönlichkeit.

Faschistisch an ihm ist die gezielte Grausamkeit seiner Gedankenwelt, das sadis­tische Suhlen in Vernichtungsfantasien, die ahnen lassen, was die äusserste Rechte mit Europa vorhat – unter dem Deckmantel ­eines polternden Populismus.

Weshalb hat die «Neue ­Zürcher Zeitung» Steve Bannon nicht die Frage ­gestellt, wie er auf seine perverse Stalingrad-Metapher gekommen ist?

Als der Populisten-Führer Alexander Gauland die Nazi-Zeit als «Vogelschiss» der deutschen Geschichte verharmloste, da beklagte die «NZZ» all die Talkshow-Debatten, welche Gaulands skandalöse Aussage sofort zum Thema machten: «Wäre es nicht möglich gewesen, einfach stillschweigend Verzicht zu üben?»

Die gleiche Frage wäre heute der «NZZ» zu stellen, die Steve Bannons Ungeheuerlichkeit ohne jede kritische Frage verbreitet – in einem gross aufgemachten Interview, das im ­Übrigen von einem ansonsten vorzüglichen Journalisten geführt wurde.

«Wir brauchen eine Festung Europa»
7:41
«frank & frei»:«Wir brauchen eine Festung Europa»
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