Ist Mario Fehr, Regierungsrat und Vorsteher der Sicherheitsdirektion, eine Figur von Belang über die Zürcher Provinz hinaus? Er ist es. Als Sozialdemokrat. Als erfolgreicher Sozialdemokrat. Als Sozialdemokrat, den «die jungen Urbanen» der Partei, wie der «Tages-Anzeiger» sie nennt, am liebsten weghaben möchten. Spätestens bei den nächsten Wahlen wollen sie den Genossen Fehr nicht mehr auf der Genossen-Liste sehen – 2019 hatte er noch die meisten Stimmen geholt.
Mario Fehr gilt, was sein Engagement betrifft, als tadelloses Parteimitglied. Er ist präsent in der Fraktion. Er arbeitet konstruktiv mit. Er nimmt die Sache der Partei ernst. Er tut dies schon sein ganzes politisches Leben lang.
Mario Fehr nimmt auch die öffentliche Sache ernst, für die er zuständig ist: die Sicherheit.
Sicherheit? Für Mario Fehr buchstabiert sich das als «Recht und Ordnung». Ein Begriffspaar, das Linke lieber vermeiden. Schlimmer noch klingt in ihren Ohren «Law and Order». Denn für sie bedeutet Sicherheit schlicht soziale Sicherheit. Was darüber hinausweist, widerstrebt ihnen und fällt unter ein legendäres 68er-Schlagwort: Repression.
Für Mario Fehr hingegen wird Sicherheit durch die Polizei gewährleistet. Und die Gerichte. Die Strenge des Gesetzes ist für ihn keine Wortgirlande, sondern ganz praktische, alltägliche Politik.
Aus dieser Überzeugung heraus wagte er es, Asylbewerber, die abgeschoben werden müssen, weil sie etwa straffällig geworden sind, in einer Zivilschutzanlage im Wald bei Urdorf unterzubringen.
Das aber «treibt gegenwärtig viele Sozialdemokraten zur Weissglut», wie ebenfalls der «Tages-Anzeiger» konstatiert. Denn «die jungen Urbanen» der sozialdemokratischen Partei sehen Migranten nun mal völlig anders als Mario Fehr, dieser Sozi von altem Schrot und Korn. Ihnen sind die Einwanderer aus der Dritten Welt ans Herz gewachsen, ob als politisch Verfolgte, Kriegsvertriebene oder Sozialmigranten. Sogar für Drogendealer und Gewalttäter schlägt das fürsorgliche Herz der jungmilitanten Genossen. Sind Migranten aus der Dritten Welt doch allesamt und ganz grundsätzlich Opfer: von Ausbeutung, von modernem Kolonialismus – Gepeinigte des Kapitalismus, dieser ökonomischen Irrlehre einer hoffnungslos verdorbenen Bourgeoisie.
So kann man es sehen, wenn man die Welt mit den Augen von Karl Marx (1818–1883) betrachtet, deren Sehschärfe allerdings altersbedingt sehr gelitten hat. Doch die junge urbane Linke thront selbstgewiss, weil geschichtsvergessen auf der Endmoräne des Marxismus und beansprucht von ihrem Hochsitz aus, den Überblick und damit auch den Durchblick zu haben.
Leider hat der alte Marx sein wichtigstes Versprechen nicht eingelöst: Dass die Proletarier unter Führung der linken Avantgarde den Kapitalismus überwinden, die Bourgeoisie entmachten und den Weg in die klassenlose Gesellschaft finden würden.
Von diesem kämpferischen Proletariat nämlich ist heute weit und breit keine Spur.
Und wenn man ganz normale Arbeitnehmer als Ersatz in die revolutionäre Pflicht nehmen möchte, fehlt ihnen ganz offensichtlich das richtige Bewusstsein dafür, als Subjekt der Geschichte tätig zu werden. Vor allem wählen sie falsch: Mario Fehr beispielsweise, den bürgerlichen Sozialdemokraten, einen penibel-beflissenen Bourgeois. Oder, schlimmer noch: Sie wählen das neue Opium des Volkes, die Rechtspopulisten.
Mario Fehr erfüllt die Ansprüche dieser fehlgeleiteten Massen: Er sorgt für Ordnung. Aus links-urbaner Sicht für eine verwerfliche, weil kapitalistische Ordnung. Dummerweise genau die Ordnung, die Sozialdemokraten einst erkämpft haben, damit Gleichheit herrsche vor dem Gesetz, damit auch Arbeitnehmer Law and Order geniessen dürfen, die gesicherte Freiheit, ein Bürger, ein Herr, eine Dame zu sein.
Wo Autonome heute Pyros und Steine werfen, da marschierten diese Arbeitnehmer*innen noch vor zwei Generationen in Krawatte und Seidenkleid hinter der roten Fahne durch die Strassen – am 1. Mai, dem Kampftag der Arbeiterklasse.
Doch in den Augen der «jungen Urbanen» ist dieses stolze Bild von anno dazumal längst ein Symbol reaktionärer Verblendung. Mario Fehr, aus ihrer Sicht ein Abweichler vom klassenbewussten Weg, betrachtete es in seinen jungen Jahren als Beweis für das Bürger-Bewusstsein der Arbeiterschaft.
In unseren Zeiten der Massenmigration eröffnen sich ganz andere revolutionäre Perspektiven. Aus der neuen historischen Sicht lässt sich die Vernarrtheit in die Figur des Migranten erklären: Er repräsentiert das verloren gegangene Proletariat. Er ist das postmoderne Subjekt der Geschichte.
Der Migrant – die Erlöser-Figur der Linken.
Für Mario Fehr gehen Menschen zur Wahl, mit denen «die jungen Urbanen» nichts im Sinn haben. Wenn Mario Fehr nicht mehr auf der SP-Liste steht, wählen diese Menschen SVP.
Doch möglicherweise sind das für «die jungen Urbanen» ohnehin die falschen Menschen.