Bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) trugen zwei Schweizer Seniorinnen ihre Klage, sich durch die schweizerische Klimapolitik im persönlichen Wohlbefinden derangiert zu fühlen: In Bern werde zu wenig fürs Klima getan – was klimasensible Bürgerinnen ihres Kalibers gesundheitlich beeinträchtige. Als politische Bergführer durch die supranationale Juristerei betätigten sich Profis von Greenpeace – wer denn sonst.
Ganz oben, auf dem Gipfel juristischer Macht, entschied der EGMR: Die Seniorinnen haben recht. Nach unten weitergereicht, bedeutet der Richterspruch: Die Schweiz habe politische Konsequenzen zu ziehen, durch Anpassung ihrer Klimapolitik an die Vorgaben des frühlingsgrünen Gerichts.
Das wiederum will die Rechtskommission des Ständerates nicht akzeptieren: Die juristischen Hohepriester des Europarates seien in ihrer Interpretation zu weit gegangen. Sie hätten die «Europäische Menschenrechtskonvention» arg «überdehnt» und «neues Recht geschaffen». Folgerung der Standesvertreter: Der Bundesrat möge dem Europarat mitteilen, «dass die Schweiz keinen Anlass sieht, dem Urteil des Gerichtshofs vom 9. April weitere Folge zu geben». Punktum.
Die Politik verweigert sich der Justiz. Oder auch: Die Politik verweigert sich der Politik durch die Justiz – der Justiz-Politik.
So sieht es auch Brigitte Pfiffner, ehemalige Bundesrichterin und Mitglied der Grünen: «Gerichte sind nicht da, um in die Politik einzugreifen.» Sie bemängelt, dass «das Gericht Politik macht, statt die Menschenrechtskonvention auszulegen.» Zur rechtlichen Qualität des Verdikts sagt sie: «Die Dünne der Argumentation hat mich erschüttert.»
Brigitte Pfiffner führt zwei weitere politisch übergriffige Urteile des EGMR an: zum Thema «Racial Profiling» und zur Praxis der Krankenkassen bei Umwandlungen des Geschlechts – beides linksgrüne Modethemen. Ein Hinweis auf die Gerichtspraxis in Deutschland und in der EU liegt nahe, wo linksgrün-konforme Richtersprüche zu Klima und Migration als gängige Praxis gelten.
Was erlebt das verblüffte Wahlvolk da gerade? Die fortschreitende Entmachtung der Politik durch die Justiz. Wenn man’s gern schärfer hätte: die Missachtung, ja die Verachtung der Demokratie durch höchste Richter.
Denn was ist der Rechtsstaat? Die Schöpfung der Demokratie. Und was ist die Demokratie? Die Willensbekundung der Bürgerschaft. Sie wählt oder installiert auch die Richter, deren Bedeutung nicht geschmälert, aber eben auch nicht überdehnt werden darf.
Der Richter in der Demokratie kommt nicht von oben, nicht vom lieben Gott, sondern von unten, wo demokratische Bürger die Freiheit gestalten.
Das Primat liegt bei der Politik, denn Politik ist, wie die Demokratie-Denkerin Hannah Arendt konstatiert, deckungsgleich mit Freiheit. Also ist Politik für den freien und gleichen Bürger der Ursprung des Rechts.
Für Linksgrün indes – für Linke eigentlich seit je – liegt das Primat bei der Ideologie. Ihr ist alles unterzuordnen, mal die Gerichte, mal die Politik, mal das Volk, je nachdem, was gerade nützlich erscheint.
Aktuell marschiert die Justiz im Kreuzzug für korrektes Denken, Reden, Handeln mit, begleitet von einer journalistischen Leibgarde. Zu lesen war jüngst die Überschrift: «Schweizer EGMR-Richter weist rebellische Ständeräte zurecht.»
Das ist die neue Formel der Antidemokraten: Die Richter als allerhöchste Instanz, die zurechtweist, wer sich ihrem politischen Aktivismus nicht fügt – und die vom Volk gewählten Politiker als Rebellen behandelt, die es zu züchtigen gilt.
Höchste Zeit, die anmassenden Rechtseiferer auf ihren Platz zu verweisen.