Ist die Zauberformel nichts als fauler Zauber? Nichts als ein «Machtkartell der Etablierten, die es sich mit ihrem jeweiligen Anteil am Kuchen bequem eingerichtet haben», wie im «Tages-Anzeiger» zu lesen war? Bisher zogen nur Rechtspopulisten mit solchen Formulierungen über das Bundesratskollegium her.
Doch so schwadroniert neuerdings und aus unerfindlichen Gründen der ansonsten respektable Analytiker Michael Hermann: Das vierjährliche Aushandeln der Regierungsbeteiligung, so der Politgeograf, sei «weit wichtiger als die persönliche Lebensplanung amtierender Magistraten». Auch dieses Verächtlichmachen der Bundesräte war bisher Rechtsaussen-Rhetorik.
Dabei ist es ebenso richtig wie banal: Regierungen werden gebildet, um Macht auszuüben – Macht auf Zeit in der Demokratie, kontrollierte Macht, zumal im direktdemokratischen System der Schweiz. Darüber hinaus aber sind Regierungen im guten Falle mehr: Gremien des Vertrauens beispielsweise und der Kontinuität. Beides repräsentiert der Bundesrat mit seiner Zusammensetzung, die man gerne «Zauberformel» nennt, in ganz besonderem Masse.
Seit 1959 teilen sich vier Parteien die Exekutivmacht im Bundeshaus. Diese politische Führung, die immer auch pragmatische Verwaltung war, hat der Schweiz über Jahrzehnte Erfolge auf allen Gebieten der Gesellschaft beschert, nicht stürmisch zwar, eher Schritt für Schritt, manchmal gar mit einem grossen Schritt vorwärts, manchmal mit einem Schritt zurück.
Was haben sich kritische Bürger – zu Recht und zu Unrecht – über diese Regierung geärgert! Doch aller Ärger war in der Regel begleitet von Respekt. Denn die sieben waren stets anständige Bürgerinnen und Bürger, bemüht ums Wohl des Ganzen, natürlich geprägt vom jeweiligen persönlichen und parteilichen Standpunkt. So soll es in der Demokratie doch sein.
Wenn es überhaupt einen Zauber der Zauberformel gibt, dann diesen: Die Kollegialität, die den Bundesräten im Regierungszimmer abverlangt wird, hat bewirkt, dass sich extreme Standpunkte der gemeinsamen Aufgabe beugen mussten. Denn das ist der Bundesrat eben auch: ein Gremium der kultivierten Diskussion – bevor man und damit man zu einer kollegialen Lösung gelangt. Dieser «Zauber» hat unter anderem verhindert, dass die vulgäre Polterei der Populisten zum schlechten Ton des Bundesrates wurde.
Den Beweis für diese Kultur lieferte der Polterer par excellence: Er wurde nach vier Jahren weggewählt, weil er es nicht konnte – im Stil genauso wenig wie in der Sache.
Was ist der herablassende Vorwurf eigentlich wert, den «Magistraten» gehe es um ihre «persönliche Lebensplanung»? Bundesräte haben keine Berufsplanung über ihre Funktion hinaus. Immer noch gilt: «Servir et disparaître» – dienen und abtreten. Oder hat einer von ihnen dem vornehmsten Amt im Land jemals eine fulminante Karriere folgen lassen?
Bundesräte sind mehr als Minister: Sie lenken mehrere Ministerien, zum Beispiel Verkehr, Energie, Strassen, Kommunikation, Umwelt, Raumplanung – alles in einem Departement mit dem Kürzel Uvek. Bundesräte sind präsidiale Gleiche unter Gleichen, zu siebt bilden sie das kollektive Staatsoberhaupt.
SPS-Präsident Christian Levrat plädiert für neun Bundesräte: «Sieben sind nicht mehr zeitgemäss.» Mit neun hätte die Sozialdemokratie auf jeden Fall bessere Aussichten auf zwei Sitze im Bundesrat.
Auch diese Forderung steuert das Regierungssystem in Richtung Minister-Regierung: Heuern und feuern, wählen und abwählen, wie es die politische Stimmung gerade opportun erscheinen lässt.
Ein Kollegium der neun wäre qualitativ etwas ganz anderes als ein Kollegium der sieben. Der vielfältige Zauber dieser Schöpfungszahl muss gar nicht angeführt werden, um zu verstehen, dass Kollegialität nur im kleineren Kreis erfolgreich gepflegt werden kann.
Wem passt diese eingeübte, seit bald drei Generationen gelebte Formel nicht? Sie passt all jenen nicht, die das Kalkulieren dem Kultivieren vorziehen. Christoph Blocher, ein Mann des kalten Kalküls, empfiehlt die Wahl eines grünen und eines grünliberalen Bundesrates auf Kosten von SPS und FDP. Dadurch würde die SVP mit zwei Bundesräten stärkste Partei.
In diesem Vorschlag schwingt jedoch mehr mit. Zum Beispiel eine völlig verquere Vorstellung davon, was der Bundesrat zu sein hat. Zitiert sei nur ein einziger Satz aus dem Interview des Oligarchen mit einer Schülerzeitung im Jahr 1998. Auf die Frage, was wäre, käme er in den Bundesrat, antwortete er: «Ich würde eine wirksame Opposition zulassen, sie sogar fördern, denn sie hilft einem, richtig zu führen, weil man auch die andere Seite sieht.»
Der erste Teil des Satzes sei wiederholt, weil er so erhellend ist: «Ich würde eine wirksame Opposition zulassen ...»
Das Ich passt nicht zum Bundesrat! Schweizer Regierungsmitglieder hören auf das Wir. Und sie haben nichts zuzulassen, schon gar nicht eine Opposition.
Wer so denkt und redet, der muss an der Demokratie scheitern.
Wer aber scheitert, nährt nicht selten Rachegefühle. Und so ist der Vorschlag, SPS und FDP zugunsten der zwei grünen Parteien je einen Bundesrat abzuerkennen, auch die ganz persönliche Rache eines Gescheiterten.