Unter der Rubrik «NZZ Digital» lanciert die «Neue Zürcher Zeitung» ein Video zum Thema: «Wem gehört die Stadt? Der neue Klassenkampf ums Wohnen». Im Begleittext sagt die «NZZ», worum es darin geht: «52 Minuten über Immobilien als Lieblingsanlage, Wohnen als Grundrecht und die Stadt als Eliteprojekt.»
Und damit ist bereits alles angesprochen, was die Menschen in den Städten aktuell umtreibt. Auf einen kurzen Nenner gebracht: das Leben in dieser Gesellschaft in dieser Zeit.
Denn was ist Wohnen? Es ist das, was die Existenz zum Leben macht. Ein Zuhause haben, sich einrichten in den eigenen vier Wänden.
Den «eigenen»? Was sich so leicht dahersagt, trifft voll daneben. Die wenigsten Menschen leben in den eigenen vier Wänden, in Wohnungen, die ihnen gehören – als Eigentum.
Dem «Wohnen» in der kapitalistischen Gesellschaft liegt ein Dilemma zugrunde: Der Boden ist ein beschränktes Gut, also nicht vermehrbar. Dennoch darf der private Besitzer damit sein Geschäft betreiben wie mit einem beliebig herstellbaren Konsumgut: Immobilien handeln, in Immobilien investieren, mit Immobilien spekulieren.
Heute gilt die Investition in Boden und Bauten, wie die «NZZ» nüchtern feststellt, «als Lieblingsanlage». Man spricht von «Betongold» – und meint damit Wohneigentum.
Nur: Was machen in diesen goldenen Zeiten die zahllosen Menschen ohne Wohnbesitz? Sie fürchten sich vor Vertreibung aus der vertrauten Wohnung, aus dem vertrauten Quartier – aus dem Leben, das sie bisher führten.
Denn das ist «Wohnen»: Leben!
Die Wohnung ist existenziell – ein Lebensgut. Die Sicherheit, zu Hause zu sein, geborgen zu sein in der Gesellschaft, ist eine Voraussetzung, sich als Bürger zu fühlen und als Staatsbürger zu handeln.
So ist es mit der sozialen Sicherheit, die mit der Wohnungssicherheit untrennbar zusammenhängt: Sie ist die Grundlage des bürgerlichen Selbstbewusstseins – und damit der persönlichen Freiheit.
All dies jedoch wird infrage gestellt durch die Spekulation mit Immobilien und die Übernahme wohnlicher Stadtteile durch eine wohlhabende Klientel, die sich exorbitante Mietpreise leisten kann. Die «NZZ» sieht daher: «Die Stadt als Eliteprojekt».
Was sie damit meint: «Superreiche» – so das Zürcher Blatt – erobern Wohnlagen, in denen während Jahrzehnten Normalverdiener lebten: Arbeitnehmer-Familien, die sich nur «normale» Mieten leisten konnten. Sie werden vertrieben. In Zürich ist das Seefeld Negativbeispiel für ein Quartier, das in kurzer Zeit seine Bevölkerung auswechselte: Eine junge, hippe, gut verdienende Schicht besiedelte die sanierten und massiv verteuerten Wohnhäuser östlich des Zürichsees – die Büezer mussten sehen, wo sie bleiben.
Genau da beginnt «Der neue Klassenkampf ums Wohnen», wie ebenfalls die «NZZ» es nennt. Der Kapitalismus untergräbt sein Fundament, indem er zerschlägt, was ihn bisher festigte: Das Gefühl der Bürgerinnen und Bürger, zusammenzugehören, zueinander zu schauen, miteinander zu leben: sozial bescheidene Familien und Bessergestellte, sogar Reiche gemeinsam im gleichen Quartier, die Kinder in der gleichen Schule!
Es war das Gegenteil von Klassenkampf. Nun aber gibt es Wohnklassen. Und die Deklassierten beginnen, sich zu wehren: in Berlin, in London, in New York ...
So beginnt seit je der Klassenkampf: durch Kapitalisten, die den eigentlich so wundersam kreativen Kapitalismus für ihre ganz private Gier missbrauchen.