Frank A. Meyer – die Kolumne
Das Tribunal

Publiziert: 09.05.2020 um 23:57 Uhr
Frank A. Meyer

Trump geht immer als Argument, wenn man schon längst keines mehr hat. Gerade in unseren so überaus komplizierten Tagen ist ­dieser Mechanismus wieder aller­orten zu beobachten: Der ebenso selbst­verliebte wie hassbegabte Wirrkopf an der Spitze der mächtigsten Nation der Welt eignet sich trefflich, um ­abzulenken von ­Chinas Verantwortung für die Corona-­Pandemie.

Das Verwirrspiel funktioniert so: Trump hat die Pandemie unterschätzt; Trump hat verspätet reagiert; Trump hat chaotisch gehandelt; Trump hat lebensgefährliche Impfmethoden ins Spiel gebracht; Trump hat alles Mögliche und dann auch gleich das Gegenteil behauptet.

Wer blickt da noch durch? Trump wohl selber nicht.

Deshalb kann auch nicht richtig sein, was der US-Präsident Richtiges feststellt: China verantwortet die Welt­katastrophe Corona!

In Wuhan ist sie ausgebrochen, und zwar bereits Mitte November 2019, wenn nicht früher. Erkenntnisse ­darüber wurden systematisch unterdrückt; Wissenschaftler zum Schweigen gebracht; ­kritische Journalisten verhaftet; die Gefahr verharmlost; Flugzeuge voll von infizierten Passagieren nach Europa gestartet, als chinesische Inlandflüge längst untersagt waren.

Ja, das kommunistisch-kapitalistische Regime ist dringend und zwingend verdächtig, das ­Virus verbreitet zu haben, als es noch am Ort seines Ausbruchs hätte gestoppt werden ­können – stamme es nun vom Lebendtiermarkt oder aus dem Hochsicherheitslabor. Die ­Verheerung der Welt wäre unterblieben.

Dass Trump – dieses Schimpfwort unserer Zeit – nun die Regierung der vorbildlichen Volksrepublik als Täter nennt, darf nicht sein. Im Gegenteil: Der Verbrecher ist Trump, ihn gilt es zu fassen! So sieht es ein Genfer Völkerrechtler, der sich dabei auf die ­Suspendierung des amerikanischen Jahres­beitrags von 400 Millionen Dollar an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezieht.

Trumps Handeln sei «als systematischer ­Angriff ­gegen die Zivilbevölkerung zu qualifizieren», was wiederum auf ein «Ver­brechen gegen die Menschlichkeit» hinauslaufe, ­womit Grund für eine «Anklage (...) vor dem Inter­nationalen Strafgerichtshof» gegeben sei – welcher sich die USA indes leider ­entziehen würden, seien sie doch nicht ­Mitglied dieses Gerichtes.

Darum bleibe der Anklage, so der Genfer ­Jurist, nur ein «Meinungsgerichtshof», wie er zu Zeiten des Vietnam-Krieges unter dem ­Namen des Philosophen Bertrand Russell ­inszeniert wurde, schon damals gegen die USA.

Ein «Russell-Tribunal» gegen Trump! Pekings Politbüro dürfte die Champagnerkorken ­knallen lassen!

Die Forderung nach einem Strafgericht trieft vor Mitmenschlichkeit: Wie kann ein US-Präsident der global tätigen Gesundheits­organisation das Geld verweigern – in Corona-Zeiten? Im Westen, insbesondere in EU-­Europa, wo der Schimpfname Trump nicht nur erfunden wurde, sondern auch alles erklärt, was schiefgeht in der Welt, schüttelt man streng missbilligend den Kopf.

Wie aber steht es mit der Verantwortung der WHO? Sie hat sich, wie David Vogelsanger, Botschafter und ehemaliger IKRK-Delegierter, in der «Neuen ­Zürcher Zeitung» festhält, an der fatalen Verkennung und damit an der Verbreitung der Pandemie mitschuldig gemacht: Sie nahm ­bereits im Dezember 2019 Taiwans Warnung vor Corona nicht zur Kenntnis, ­geschweige denn zum Anlass für Gegenmassnahmen. Noch am 23. Januar lobte der WHO-Direktor die ­Regierung in Peking für ihre «Zusammenarbeit und Transparenz». Erst sieben Wochen später bequemte sich die Organi­sation, das vorher verschwiegene und verharmloste Phänomen Corona zur Pandemie auszurufen.

Motiv dieses unfassbar verantwortungslosen Verhaltens: Der WHO-Präsident ist ein Vertrauensmann der Volksrepublik.

Donald Trump jedoch ist leider kein Vertrauensmann der west­lichen Welt, weshalb sein Entschluss, der WHO den Jahresbeitrag vorzuenthalten, in den Augen antiamerikanischer Westler einen Skandal von kosmischem Ausmass darstellt. Die Summe ist in der Tat gewaltig und der Verlust ­entsprechend schmerzhaft: 16-mal grösser als der Beitrag Pekings.

Chinas Zensur-Maschine läuft auf vollen Touren. Sogar aus dem Gastbeitrag aller China-Botschafter der EU in der Staatszeitung «China ­Daily» wurde ein Satz gestrichen, weil er nicht ins Märchen von der kommunistischen Corona-Unschuld passte: Die Diplomaten hatten es gewagt, darauf hinzuweisen, dass «das Corona­virus in China seinen Ursprung nahm und sich in den folgenden drei ­Monaten auf der ganzen Welt verbreitete». Die Europäische Union akzeptierte diese Streichung – ein Akt der Unterwerfung.

Die schändlichste Unterwerfungsgeste aber ist aus Deutschland zu vermelden: Taiwan, seit Mao Tse-tungs Machtübernahme 1949 durch die Volksrepublik bedroht, spendete der ­Bundesrepublik eine Million Gesichtsmasken. ­Regierungssprecher Steffen Seibert, von Journalisten auf das Geschenk ange­sprochen, verweigerte die Nennung der Demokratie Taiwan und dankte stattdessen «anderen Ländern», wie es die China-­Doktrin der wirtschaftlich mächtigsten ­Nation ­Europas gebietet. Deutsche Duckmäuserei der peinlichsten Art. Hat sich ­Steffen Seibert wenigstens persönlich ­dafür geschämt?

Ja, Chinas Propaganda-Projekte im Westen laufen rund. Doch immerhin gibt es nun den Genfer Ruf nach einem Trump-Tribunal. Sie ist gut, diese Idee. Sie sollte nur anders ­benannt werden:

China-Tribunal.

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