Die «Neue Zürcher Zeitung», ein ökonomisches Leitmedium von internationalem Rang, hat Fatales zu verkünden: «Die Politik holt die Vorherrschaft über die Wirtschaft zurück.» Damit der Leser auch gleich weiss, was es geschlagen hat, wird der unfrohe Titel durch folgende Aussage gestützt: «Kritiker der Globalisierung sehen gesichtslose Eliten und Konzerne am Werkeln. Schlimmer ist nur noch, wenn die Politik allein bestimmt.»
Politik und Wirtschaft: Gegensätze?
Stichworte dazu kursieren gerade in Hülle und Fülle: Roman Abramowitsch und Gautam Adani und CS und UBS und Daniel Vasella und Viktor Vekselberg und Briefkastenfirmen und Mauritius und Börsenmanipulation und Geldwäscherei. Unschön, das alles. Und erst noch öffentlich. Durch Behörden und Justiz und Journalisten vor aller Augen verhandelt. Ein doch eher vulgärer Anblick.
Und in der Tat, es ist allerhand los auf dem Markt von Mächtigen und Mächten. Aber: Konkurrieren Politik und Wirtschaft tatsächlich um die Vorherrschaft? Wäre es so, müssten sie als rivalisierende Kräfte betrachtet werden: Mal siegt die eine, mal die andere – jetzt gerade ist die Politik in der Offensive.
Doch der Eindruck täuscht. Es findet kein Zweikampf statt. Nur Korrektur und Gestaltung: Die Globalisierung, seit dem Ende des Kalten Kriegs in Euphorie, stösst an ihre Grenzen – Grenzen der Interessen von Nationen und Gesellschaft, und eben auch des guten Geschmacks.
Die kritischen Storys über diesen Streit sind formulierte Freiheit. Und Freiheit, wie die Denkerin Hannah Arendt postuliert, ist Politik – was natürlich auch umgekehrt für die Quintessenz der demokratischen Welt steht.
Die Wirtschaft ist Teil der Freiheit und damit Teil der Politik. Was bedeutet:
Die Politik ist das Ganze.
Politik ist das Handeln der freien, der demokratischen Welt. Gegenwärtig herrscht Handlungsbedarf, was die ausufernde Globalisierung betrifft. Russische Oligarchen und helvetische Steuertrickser führen vor, worum es dabei geht, nämlich um die Wurzeln wirtschaftlicher Machtanmassung, die beschnitten werden müssen durch demokratische Gestaltung – mit dem Ziel:
Bürgerlichkeit.
Die Begriffe Bürger, Bürgerschaft und Bürgerlichkeit bedeuten – in Politik übersetzt – Machtbrechung, was wiederum auf Machtgestaltung hinausläuft, also auf Machtkontrolle, also auf Masshalten, also auf Redimensionierung wirtschaftlicher Macht, bis sie der bürgerlichen Freiheit zuträglich ist. Denn die hat sich ja immer an der Freiheit des Andersdenkenden und Anderslebenden zu orientieren, ganz besonders auch des sozial Schwächeren. Man kann abgekürzt auch so formulieren:
Es geht um die Wiederherstellung der Freiheit.
Für die Gläubigen der Wirtschaft als Konkurrenzmacht zur Politik ist dieser Prozess schmerzhaft. Der neoliberale Prophet Friedrich August von Hayek verachtete die Demokratie: Sie sei nichts als «ein durch das Erpressungs- und Korruptionssystem der Politik hervorgebrachtes System» – nichts weiter als ein «Wortfetisch».
Hayeks säkulare Religion geistert noch immer als «Neoliberalismus» durch die Köpfe wirtschaftlicher Potentaten, dem marxschen Primat der Ökonomie übrigens in paradoxer Weise eng verwandt.
Gerade in Wendezeiten wie diesen aber erlebt die offene Gesellschaft des Bürgertums eine Renaissance der Politik. Nicht als «Vorherrschaft», wie die «Neue Zürcher Zeitung» beklagt, sondern als «Herrschaft der Freiheit», wenn diese zwei so gegensätzlich klingenden Begriffe überhaupt in eins gebracht werden dürfen.
Freilich gebührt Freiheit auch der Wirtschaft – weil Freiheit ja unteilbar ist. Sie wird nur gerade wieder gesellschaftlichen Geboten in globalen Zeiten gerecht gemacht.