Frank A. Meyer – die Kolumne
Credit ohne Suisse

Publiziert: 30.10.2022 um 00:26 Uhr
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Aktualisiert: 30.10.2022 um 13:18 Uhr
Frank A. Meyer

Der SonntagsBlick hat recherchiert – und gerechnet: Seit 2007 ging der Marktwert der Credit Suisse von fast 100 Milliarden Franken auf 10 Milliarden zurück. In der gleichen Zeitspanne kassierten die Verwaltungsräte und Konzernleitungsmitglieder der Grossbank rund 1600 Millionen Franken an Löhnen und Boni.

Eine Pflegefachfrau in der Schweiz verdient pro Jahr 85 000 Franken, ein Neurochirurg
700'000 Franken.

Was hat das eine mit dem andern zu tun? Die Entlöhnung der Pflegefachfrau und des Neurochirurgen werfen ein Licht auf die Gehälter von Verwaltungsräten und Konzernleitungsmitgliedern der Credit Suisse. Ja, sie lassen die Zahlen der CS sozusagen dreidimensional erscheinen: in ihrer Masslosigkeit sowie in ihrer unternehmerischen und gesellschaftlichen Bedeutung.

Die Manager-Elite hat sich ins Glück des grossen Geldes gemanagt – und gleichzeitig die Bank, die ihrem Können anvertraut war, ins unternehmerische Unglück gestürzt. Die CS muss eilends die Saudi National Bank um Hilfe bitten und mit 10 Prozent Anteil zum Mitinhaber machen. Im Zürcher «Tages-Anzeiger» erklärte der Bank-Experte Bernhard Bauhofer den Entscheid als «überlebenswichtig», sei doch die Credit Suisse «ein heisses Eisen, das niemand anfassen will», denn «das Image der Grossbank ist bereits (...) angekratzt, in jeder Hinsicht».

Die Credit Suisse ist nicht mehr Suisse. Die Bank, die ihre Wurzeln tief im Bundesstaat von 1848 hat, die nur gerade acht Jahre jünger ist als die moderne Schweiz – dieses historische Geldinstitut der weltweit strahlenden Schweizer Republik gehört heute mehrheitlich Ausländern, darunter auch dem Erdgas-Scheichtum Katar.

Womit die gesellschaftliche Bedeutung angesprochen ist: die «Swissness» der Bank. Darauf ist die Schweiz stolz – war die Schweiz stolz: auf eine Leuchtturm-Bank, die neben der UBS das Licht des Schweizer Finanzplatzes unwiderstehlich über den Erdball erstrahlen lässt – als Orientierungspunkt der Welt-Finanzen

Die CS, der Stolz der globalisierten Schweiz, wurde der Schweiz entwendet, ohne dass die Schweiz ein Wort dazu zu sagen hatte: heruntergewirtschaftet bis zur Blamage durch Manager an goldenen Fallschirmen.

Soll – muss – man sie Täter nennen?

Verantwortung ist das grosse Wort, das zur Rechtfertigung der Abermillionen-Gehälter ins Feld geführt wird. Was aber ist Verantwortung? Die Pflegefachfrau trägt Verantwortung, denn ihr Tun und Lassen kann tödliche Folgen haben – und damit ganz konkrete Folgen für sie persönlich. Der Neurochirurg trägt Verantwortung, denn ein Kunstfehler kann tödliche Folgen haben – und damit ganz konkrete Folgen für ihn.

Hat das Versagen von Bankmanagern Folgen für eben jene Bankmanager? Sie spazieren unbehelligt aus der Chefetage – reich und superreich belohnt.

Verantwortung – ein winzig kleines Wort!

Handelt die jüngste Geschichte der Credit Suisse von Finsterlingen? Nein. Die Bank wurde ins Verderben geführt von treusorgenden Gatten, liebenswerten Onkeln, grosszügigen Paten, guten Freunden: Menschen, mit denen man vergnügliche Zeit verbringen kann.

Menschen unserer Welt und Zeit – aus einer anderen Welt und Zeit: der Welt und der Zeit des globalen Manager-Marktes. Menschen aus einer Wirklichkeit jenseits der wirklichen Wirklichkeit – der Wirklichkeit der Pflegefachfrau und des Neurochirurgen.

Es ist Zeit, dass die Gesellschaft diese Jenseitigen des Finanzgeschäfts zurückholt in das Diesseits der Verantwortung. Womit?

Mit der Forderung, wenigstens die unschicklich kassierten Boni zurückzuerstatten? Ein durch und durch moralischer Appell – an die Moral der CS-Banker.

Doch er zielt ins Leere. Wo die Gesetze der globalen Finanzwirtschaft herrschen, herrscht keine Moral. Menschen, die im Alltag unsere Moral teilen, geniessen als Manager die Luft der weiten Finanzwelt, in der sich Moral kaum mehr erschnuppern lässt.

Die Welt des globalen Geldes ist amoralisch – jenseits von Moral. Unberührbar durch Moral.

Auch das Credit-Suisse-Desaster ist letztlich nur ein Symptom dieses entfesselten Kapitalismus. Doch der Kapitalismus ist für die Freiheit der Gesellschaft existenziell. Er darf nicht sich selbst überlassen werden. Die Politik muss ihm Grenzen setzen.

Unbegrenzter Kapitalismus ist Antikapitalismus.

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