Vielleicht eröffnen drei Sätze aus der «Neuen Zürcher Zeitung» endlich einen klaren Blick auf das chinesische Blendwerk. Sie lauten, so lakonisch wie logisch:
«Nebst viel Billigware produziert China längst auch Hochtechnologie. Meist handelt es sich dabei um Entwicklungen aus dem Westen. Selbst erfindet das Land kaum je etwas Bahnbrechendes.»
Bis vor kurzem noch liessen westliche Wirtschaftsweise bei jeder Gelegenheit den Lock- und Lobruf erschallen:
ChinaChinaChina!
Entzückt sangen sie das Halleluja eines Kapitalismus ohne Demokratie. Das Wasser lief ihnen im Mund zusammen, wenn sie Lobgesänge über die Segnungen des chinesischen Systems anstimmten: diskussionslose Entscheide, willige Arbeitskräfte, gewaltige Gewinne! Was konnten sich global operierende Manager Schöneres wünschen – verdienten es die Verhältnisse im Reich der Mitte doch, paradiesisch genannt zu werden.
Bis gerade gestern.
Heute klingt es kritischer: «Xi Jinping gefährdet Chinas Innovationskraft», titelt die NZZ.
Was geschieht da eigentlich? Befand sich die Volksrepublik nicht gerade noch auf der Überholspur, was Chiptechnologie betrifft? Galt nicht der Markenname Huawei international als Zauberformel für diesen Siegeszug? Mittlerweile ist die Eroberung der westlichen Märkte rabiat gebremst. Die USA verweigern China die dazu nötige Hochtechnologie.
Aber so ist es nun mal: Die Aggressivität des kommunistisch beherrschten Kapitalismus lebt von westlichem Erfindergeist. Unschlagbar ist Chinas Wirtschaft lediglich im fleissigen Kopieren und Verfertigen von Konsumprodukten. Der Politologe Zheng Yongnian aus der explosiv gewachsenen Sonderwirtschaftszone Shenzhen im Südosten des Riesenreichs konstatiert trocken: «Wenn ein Land sich abschirmt, wird es definitiv zurückfallen.»
Aufs eigene Land bezogen, kommt Zheng zur Erkenntnis, China mangele es an originären Technologien: Es erfinde nichts bahnbrechend Neues, stattdessen entwickle es westliche Technologien weiter, und dies nicht einmal auf höchstem Niveau.
In der Tat, China schirmt sich ab – um es sanft und in höflichen Worten auszudrücken. Anders gesagt, also unsanft und in unhöflichen Worten:
China ist eine Diktatur.
Wo aber das Denken dem Diktat unterliegt, kann der kreative Bürger im Unternehmen, an der Universität, im Labor nicht kreativ sein – nicht frei denken, nicht frei erfinden, denn freies Forschen im unfreien Leben funktioniert nicht, weil die Beschränkung der Freiheit aufs Forschen ebendieses Forschen verhindert.
Freiheit ist unteilbar – nicht manipulierbar und nicht disziplinierbar. Sie hört nicht auf, wenn der forschende Bürger die Labortür hinter sich schliesst, den Hörsaal oder das Entwicklungszentrum seines Unternehmens verlässt. Berufliches Gegendenken als Voraussetzung für technologischen Fortschritt verwandelt sich unweigerlich in bürgerliches Gegendenken – und wird zum Antrieb für gesellschaftlichen Fortschritt.
Da aber sei die Kommunistische Partei davor! Der allmächtige Vorsitzende Xi Jinping muss nur mit dem Finger schnippen, damit aus Denken Schweigen wird.
Freie Wirtschaft, unfreie Bürger? Nein, es klappt einfach nicht mit der Wunschformel der globalen Managerkaste.
Dabei gibt man sich im freien Westen doch jede erdenkliche Mühe, der wirtschaftlich weltmeisterlichen Diktatur zu Willen zu sein. Es beginnt schon damit, dass der Begriff Diktatur umgedichtet wird in Autokratie, was einschmeichelnd klingen soll – und nicht wie das böse Gegenmodell zur Demokratie: Autokrat Xi, Demokrat Biden – was unterscheidet sie ausser der ersten Silbe? Wohingegen Diktator Xi und Demokrat Biden doch ätzend gegensätzlich klingen.
Nein, der Westen dankt keineswegs ab als Werkstatt von Kreativität und Fortschritt. Er denkt gar nicht daran.
Denn er denkt.