Es klingt sachlich einleuchtend, wenn Christophe Darbellay sagt: «Amtierende Bundesrätinnen, die ihre Arbeit korrekt machen, sollte man wiederwählen.» Er meint damit Eveline Widmer-Schlumpf. Und trifft die Sache ganz präzis: Die Bündner Bundesrätin macht ihren Job korrekt – sehr viel mehr als korrekt sogar, und dies erst noch ohne mächtige Fraktion im Parlament.
Der Satz des christlichdemokratischen Parteipräsidenten in einem Interview mit dem SonntagsBlick klingt aber auch politisch einleuchtend: Solange die Rechte im Bundesrat nicht die Mehrheit hat, ist seine CVP dort das Zünglein an der Waage.
Eine rechte Regierungsmehrheit, zwei Freisinnige plus zwei Rechtspopulisten der SVP, wäre das machtpolitische Aus für die katholische Mittepartei. Es wäre auch das Aus für die Zauberformel.
Denn die Zauberformel, wie sie der strategisch brillante CVP-Generalsekretär Martin Rosenberg 1959 erfand, war nie rein arithmetisch gemeint. Sie bedeutete erstens die Entmachtung des Freisinns, der Herrenpartei, und zweitens die Machtbeteiligung der Sozialdemokraten, der Arbeiterpartei.
Drittens aber – und vor allem! – bedeutete die Zauberformel die Selbstermächtigung der Katholisch-Konservativen, der heutigen CVP. Die installierte sich im Siebner-Kollegium als entscheidende Mehrheitsmacherin: gesellschaftlich eher bewahrend, sozial eher fortschrittlich, also ihrer christlichen Herkunft verpflichtet – jedenfalls in der Regel.
Für die Christdemokraten hat diese Rolle existenzielle Bedeutung. Wenn sie die nicht mehr spielen können, droht ihnen der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit.
Doch gibt es jenseits der Machtoption auch eine moralische Option für die C-Partei: Sie muss den Rechtspopulismus daran hindern, den Bundesrat zum Radau-Gremium verkommen zu lassen, wie es in Blochers vier Bundesratsjahren schon geschehen war – viel Lärm, viel gruppendynamische Verwerfung, kaum eine sachliche Leistung des Populistenführers.
Heute ist der Lärm verhallt. Die Regierung arbeitet wieder unter Konkordanz- und Konsensbedingungen. Mit zwei SVP-Bundesräten wäre dies kaum denkbar. Die gerade vergangene Delegiertenversammlung der Schweizerischen Volkspartei machte das deutlich: verächtliche Polemik gegen die Bundespräsidentin, Hetze gegen Flüchtlinge und Migranten, Stimmungsmache gegen Europa, Aufwiegelung gegen «die Politik» ganz grundsätzlich – sie sei die «schlimmste Parallelgesellschaft».
Was hat eine solche Partei überhaupt in dieser «schlimmsten Parallelgesellschaft» zu suchen, für die doch der Bundesrat steht?
Die Schweizer Populisten polemisieren mit den Parolen der europäischen Populisten, und zwar immer hemmungsloser. Die SVP ist damit recht eigentlich zu einer europäischen Partei geworden. Sie zählt zur äusseren Rechten Europas, wie der französische Front National, die Wahren Finnen oder die englische Ukip.
Das Modell von zwei SVP- und zwei FDP-Sitzen im Bundesrat wird als bürgerliche Mehrheit propagiert, im Gegensatz zur angeblich linken Mehrheit von heute. Ein demagogischer Aberwitz: Eveline Widmer-Schlumpf ist eine Politikerin eher konservativen Zuschnitts, eine bürgerliche Dissidentin der SVP; Doris Leuthard ist eine kluge, urbane Konservative der CVP; die zwei Sozialdemokraten sind konstruktiv politisierende Linksbürgerliche.
Im Bundesrat gibt es also bereits eine bürgerliche Mehrheit.
Wer die heutige SVP – die SVP der letzten zwei Jahrzehnte – noch als bürgerliche Partei bezeichnet, der leidet unter Geschichtsvergessenheit. Diese Partei gehört nicht zum bürgerlichen Lager. Sie verachtet alles, was bürgerlichen Standards entspricht: Anstand, Fairness, Toleranz. Und sie verhöhnt alles, was den bürgerlichen Staat ausmacht: Parlament, Regierung, Justiz.
Wer «die Politik» als «schlimmste Parallelgesellschaft» diffamiert, bekämpft den bürgerlichen Staat.