Frank A. Meyer
Die Denunzianten

Publiziert: 18.01.2015 um 00:32 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:49 Uhr
Von Frank A. Meyer

Das deutsche Monatsmagazin «Cicero» hat Jesus Christus zum Thema seiner Weihnachtsnummer gemacht. Der Gottessohn zierte als gepiercter, tätowierter und kiffender Freak die Titelseite: Jesus als schräger Zeitgenosse.

Für Christen mit der klassischen Vorstellung vom Erlöser – dem Schmerzensmann am Kreuz – war das eine Provokation.

Ist das «Cicero»-Titelbild Blasphemie? In den Augen mancher Leser schon. Aber Jesus gibt es auch als Frosch am Kreuz – von Martin Kippen­berger, einem grossartigen Künstler.

Die christlichen Kirchen sind Kummer mit der Satire gewohnt. Die Medien pflegen Religionskritik geradezu hingebungsvoll. Denn Glaubens­gebäude sind auch Ideologie­gebäude sind auch Herrschaftsgebäude sind auch Machtgebäude. Das aber erlaubt nicht nur rücksichtslose Kritik, es verpflichtet dazu.

Die Karikaturisten von «Charlie Hebdo», grossartige Künstler ihres Metiers, taten nichts anderes: Sie übten hingebungsvoll Kritik am politisch bis heute wirkungsmächtigen islamischen Propheten Mohammed. So rücksichtslos, wie sie Kritik an jeder Religion übten.

Ihre Islam-Kritik kostete sie das Leben: Weil sie den Propheten karikiert hatten – wie «Cicero» zu Weihnachten Jesus.

So ist es: Was gegen das christliche Glaubensbekenntnis und seine göttlichen Protagonisten gezeichnet, geschrieben, gesagt werden darf, darf nicht gezeichnet, nicht geschrieben, nicht gesagt werden gegen den Islam und seine göttlichen Protagonisten.

Wo leben wir? In Saudi-Arabien?

Nein, die Meister der französischen Satire lebten mitten in Paris. Also mitten in Europa. Also mitten in einer Zivilisation, zu der auch die Schweiz zu rechnen ist. Diese Zivilisation aber, Resultat von Aufklärung und Revolution, hält die Freiheit der Religionskritik hoch. Zu Recht auch die Freiheit der Gotteslästerung. Denn das Kriterium dafür, was Blasphemie ist, hängt stets vom ganz persönlichen, sogar intimen Emp­finden von Gläubigen ab oder von einer Gruppe von Gläubigen: einer Sekte, einer Glaubensgemeinschaft, einer Kirche.

Wo kämen wir hin, wenn das Lästern einer Weltanschauung verboten werden könnte – bloss weil sich diese Weltanschauung Religion nennt?

Wo wir hinkämen? Genau dorthin, wo wir gerade sind.

Die Medien sind in diesen Tagen voll von Erwägungen, weshalb auf die Freiheit der Satire verzichtet werden soll, wenn es um den Islam und seinen Propheten geht. Drei Sätze seien dazu zitiert:

Der erste Satz: «Ein blosses Pochen auf die Freiheit der Meinungsäusserung wird die zunehmenden Konflikte nicht lösen, die auf unsere Migrationsgesellschaften in naher Zukunft zukommen werden.»

Der zweite Satz: «Müssten sich diejenigen, die die Satire schreiben und die Karika­turen zeichnen, nicht selbst eine Art Kodex geben, indem sie sich überlegen, was sie allenfalls bewirken, wenn sie zu weit gehen?»

Der dritte Satz: «Ich halte Verunglimpfungen von Religionen nicht für eine publizistische Heldentat.»

Was ist die Moral dieser drei Sätze?

Erstens: Satire muss konstruktiv sein. Zweitens: Satire muss der Selbstzensur unterliegen. Drittens: Satire muss religionsfrei sein.

Satire muss nicht sein!

Charb und Wolinski und ihre Kollegen waren weder konstruktiv noch bereit zur Selbstzensur noch religionsfrei.

Demnach sind sie an ihrem Schicksal selber schuld.

In einer Zeitung war der Satz zu lesen:

«Es gibt bessere Schlachtfelder als das Recht auf religiösen Spott. Schlacht­felder, die weniger Opfer unter Unbeteiligten fordern.»

Auch das wissen wir jetzt: In Paris schossen nicht Terroristen, fand nicht Terror statt. Sondern eine Schlacht. Das Schlachtfeld wählten die Karikaturisten selber – und verloren die Schlacht.

Gegen Krieger Gottes. Und rissen Unbe­teiligte mit in den Tod.

Ja, ein Gespenst geht um in vielen Redaktionen, vor allem der linken und link­s­liberalen Medien, Medien der verschimmelten 68er-Kultur, Medien des Muffs von Multikulti. Es ist der Geist der nachträg­lichen Denunziation: der Denun­ziation unserer grandiosen und geistesscharfen und couragierten Kollegen von «Charlie Hebdo» – von Charb und Wolinski.

Was ist dem hinzuzufügen? Vielleicht eine Erkenntnis des deutschen Dichters Hoffmann von Fallersleben:

«Der grösste Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.»

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