Die Welt wird also wieder einmal besser. Warum? Weil das Weltwirtschaftsforum (WEF) stattgefunden hat. Seit seiner Gründung 1971 ist das so. WEF-Vater Klaus Schwab gab seiner Institution die entsprechende Leitidee: «Den Zustand der Welt verbessern.»
Eigentlich müsste die Niederkunft von Tausenden Weltverbesserern an Weihnachten stattfinden, anstelle des sinnentleerten Konsumfests. Wer diese Woche in Davos Herberge fand, will schliesslich nur das Gute. Die ganze Woche. Bis zur Abreise im Privatjet.
Auch dieses Jahr hob Klaus Schwab segnend seine Arme über die WEF-Gemeinde und liess die Gläubigen seiner tiefen Einsicht in den Lauf der Dinge teilhaftig werden: «Ich habe immer geglaubt, dass komplexe Herausforderungen einer vernetzten Welt nur gelöst werden können, indem wir zusammenarbeiten.»
«Komplexe Herausforderungen» und «vernetzte Welt» – das klingt immer gut. Doch wie es so ist mit Glaubensworten: Sie bedürfen der Exegese. Darum sei hier der Einfachheit halber ein Blick in die Wirklichkeit getan: Das WEF hat alle Wirrungen dieser Welt bereits beschwatzt, und zwar chronologisch, wie sie in den vergangenen Jahren nun mal anfielen. Als da waren, um nur wenige, aber bedeutende Beispiele zu nennen: die Religion des Marktes, die Religion des Finanzkapitalismus, die Religion des Digitalismus.
Leider, leider erscheint die im Jahresrhythmus durch die Davoser Zusammenkunft runderneuerte Welt inzwischen geradezu auf alarmierende Weise zerrüttet: Die Globalisierung ist des Teufels, als Teufelsaustreiber fungieren die Populisten, der neue Pate der Populisten heisst Trump. Und der will Grenzzölle statt grenzenloser Geschäfte.
Ein Desaster für die geschäftigen Weltenretter des WEF.
Was tun?
Klaus Schwab ist zur Tat geschritten. Er lud den Kommunisten Xi Jinping in die hässliche Stadt inmitten herrlichster Berge. Chinas Staatspräsident empfahl der Welt sein Gebot der Stunde: Globalisierung! Weitermachen wie bisher! Unter Chinas Führung!
Die deutsche Tageszeitung «Die Welt» erhob Xi Jinping mit seiner Botschaft flugs zum «neuen Führer der freien Welt». Über dem Text prangte vierspaltig und farbig ein Bild des Chinesen mit der Schweizer Bundespräsidentin: er von oben nach unten lächelnd, sie von unten nach oben applaudierend.
Die freie Welt – die Schweiz! – beklatscht den Herrscher der kommunistischen Weltmacht: China!
So weit ist es gekommen, trotz Dutzender Davoser Erweckungswochen. Wie das geschehen konnte?
Davos ist Lourdes, das WEF die Kathedrale – Wallfahrtsort für Manager, die sich die Absolution für ihr profanes Geschäft durch bussfertige Bekenntnisse holen, denen sie lauschen oder die sie sogar selbst zum Besten geben. Dabei geisseln sich redliche Geschäftemacher Seite an Seite mit Spitzbuben und Geldgaunern. Letztere gehören schliesslich ebenfalls zum Klub der globalisierten Profiteure.
Um den Kapitalismus dreht sich beim WEF stets alles: als Prinzip der Weltbeherrschung – in Davos Weltgestaltung genannt. Diese Woche wurde der Kapitalismus wüst beschimpft. Zeigefinger wurden erzieherisch erhoben, Besserung wurde mit strengem Blick angemahnt, dem Beelzebub Exorzismus angedroht.
Hat es etwas genützt? Dem Seelenfrieden der Wallfahrer ganz bestimmt.
Doch die Welt wird nicht in luftigen Berghöhen verbessert oder verschlechtert, sondern unten im Tal, wo die Wirklichkeit sich austobt. Die bedrohlichen Erfolge der Populisten belegen, wie abgehoben 1560 Höhenmeter sein können.
In den Niederungen der Politik wird auch über die Zukunft des Kapitalismus entschieden: Zerstört er sich selbst, wie Karl Marx einst prophezeite? Oder reformiert er sich, wie aufgrund seiner Entwicklung vom Manchesterliberalismus zur sozialen Marktwirtschaft bislang angenommen werden durfte?
Dass die Reform gelingen möge, ist zu hoffen, denn das freie Wirtschaften ist Teil der Freiheit!
Der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington erfand vor einigen Jahren den «Davos man» als Bezeichnung für den bekennenden WEF-Menschen. Ein eigenartiger Begriff, geeignet für eine neu entdeckte Spezies, insofern treffend, hat doch der Homo davosiensis wenig zu tun mit den Menschen, die sonst noch die Welt bevölkern.
Huntingtons Kreatur soll den Kapitalismus retten!
Die WEF-Weihetage 2017 waren allerdings nicht dazu angetan, gross Hoffnung zu schöpfen: Der neue Führer Xi Jinping, dem wärmster Applaus zuteilwurde, hat mit Freiheit als Bürgerfreiheit nichts, aber auch gar nichts im Sinn.
Kapitalismus ohne freie Bürger? Ist das der neue Fluchtort, der Sehnsuchtsort der globalisierten Kapitalisten? Eine Welt ohne freie Bürger bedeutet: keine störenden Bürger, vielmehr disziplinierte Bürger, fügsame Bürger – für die Wirtschaft, fürs Geschäft.
Der «Davos man» wird Genosse.