Frank A. Meyer
Das Volksgericht

Publiziert: 18.09.2016 um 12:38 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 09:15 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Es ist hier eine kleine Geschichte zu erzählen, fast eine Anekdote nur, die allerdings, wie man zu sagen pflegt, Staub aufgewirbelt hat und daher, trotz ihrer Dimension als politische Petitesse, eine gewisse Bedeutung besitzt, welche wiederum für den aufmerksamen Zeitzeugen sogar erhellend sein mag.

Die Geschichte handelt von zwei Schweizer Politikern. In der Reihenfolge ihres Auftretenszunächst von Kurt Fluri:

Der freisinnige Nationalrat, Stadtpräsident von Solothurn, formulierte einen Vorschlag, der das Gesetz zur Initiative gegen die Masseneinwanderung europakonform ausgestalten soll, einigermassen jedenfalls, also immer noch mit allen Restrisiken dieser heiklen Angelegenheit behaftet.

Es tut nichts zur Sache, dass Kurt Fluris Vorschlag verfassungsrechtliche Bedenken weckt, und zwar berechtigte; auch tut es nichts zur Sache, dass er auf rechten Widerstand stösst und auf linke Skepsis; schliesslich tut es nicht einmal etwas zur Sache, dass die Staatspolitische Kommission des Nationalrates, als deren Vizepräsident Fluri amtet, dem Vorschlag mit 16:9 zustimmte.

Es tut in dieser kleinen Geschichte einzig etwas zur Sache, dass der freisinnige Nationalrat seine Arbeit als Politiker im Bundeshaus getan hat.

Fluri hat sich eines schier unlösbaren Problems angenommen, das die Schweiz seit langem beschäftigt und recht eigentlich der Quadratur des Zirkels gleichkommt: die Umsetzung der SVP-Initiative dergestalt zu bewerkstelligen, dass die bilaterale Ordnung, die zwischen der Schweiz und der EU segensreich herrscht, nicht gestört oder gar zerstört wird.

Der geistig offensichtlich unabhängige Politiker aus Solothurn, also aus der Provinz, hat im Bundeshaus das Resultat seines Nachdenkens vorgelegt – und dafür erste Zustimmung erfahren.

Dann aber trat der zweite Mann auf die Bühne dieses kleinen Volkskammer-Stücks, Thomas Matter:

Der Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei und Banker aus Zürich forderte Kurt Fluri auf, sein Mandat als Nationalrat niederzulegen, da er mit seinem Vorschlag zur Umsetzung der SVP-Initiative den Eid auf die Bundesverfassung gebrochen habe.

Thomas Matter blies dabei heftig in die Backen und schrieb einen Brief, der gleich noch alle 15 weiteren Nationalräte zum Rücktritt aufforderte, die Kurt Fluris Überlegungen in der Kommission überzeugend gefunden hatten. Erst mit diesem Massen-Rücktritt, so Thomas Matter, «würde möglicherweise das Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in die Politik wieder zurückkehren».

So weit die kleine Geschichte. Was lehrt sie uns? Dass der Solothurner FDP-Nationalrat zurücktreten soll, weil er seine Arbeit getan hat, diese aber nicht im Sinne des Zürcher SVP-Nationalrats ausgefallen ist.

Und was lehrt sie uns weiter? Dass der Zürcher SVP-Nationalrat den Solothurner FDP-Nationalrat nicht einfach kritisiert, wie es sich im demokratischen Streit gehört – er will Fluri politisch eliminieren.

Für den Zürcher SVP-Nationalrat ist deshalb auch unerheblich, dass der Solothurner FDP-Nationalrat sehr wohl seine Wähler und in diesem speziellen Fall auch zahlreiche freisinnige, christlichdemokratische und sozialdemokratische Wähler vertritt, also einen erheblichen Teil der Bevölkerung – für Thomas Matter spricht nur einer im Namen des Volkes: Thomas Matter, wobei er mit diesem anmassenden Anspruch auch seiner Partei gerecht wird, die ja, wie bekannt, stets und überall im Namendes ganzen Volkes zu sprechen beliebt.

Und daraus ergibt sich nun die Quintessenz dieser Geschichte, die getrost als kleines Lehrstück gelten darf: Der Rechtspopulismus, dem Thomas Matter in heiliger Einfalt huldigt, betrachtet sich stets und überall als Richter im Namen des Volkes. Wer dem rechtspopulistischen Volksgericht nicht zu Willen ist, der versündigt sich gegen das Volk, dessen Willen allein Rechtspopulisten repräsentieren und exekutieren – im Namen des Volkes, versteht sich.

Wie hat Kurt Fluri auf den Brief von Thomas Matter reagiert? Mit den Worten: «Ich hätte ihn für intelligenter gehalten.»

Das ist viel gesagt, setzt doch die Steigerungsform «intelligenter» schon mal die Eigenschaft «intelligent» voraus. Und es ist gleichzeitig wenig gesagt, entfaltet sich doch im Manöver von Thomas Matter der ganze Ungeist des Rechtspopulismus.

Wobei mit dem Begriff «Geist» schon wieder zu viel gesagt ist.

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