Sergio Ermotti, Chef der UBS, meldet sich als Warner zu Wort: Er sieht den Wirtschaftsstandort Schweiz gefährdet, nicht zuletzt den Finanzplatz – und damit das schweizerische «Erfolgsmodell».
Woher aber droht die Gefahr? «Eine ungebremste Welle von Regulierungen» behindere zum Beispiel die Finanzwirtschaft. Überhaupt seien es neben «wirtschaftsfeindlichen Initiativen» nicht zuletzt «regulatorische Verschlechterungen unserer Rahmenbedingungen», die der Wirtschaft auf den unternehmerischen Geist gehen.
Ermotti nutzt die Gunst der Stunde: Der Franken ist stark, möglicherweise zu stark für die Exportwirtschaft. Also ist die Schweiz empfänglich für das ewige Mantra der Marktradikalen: Deregulierung, Deregulierung, Deregulierung.
Einen «Deregulierungspakt» forderten fesche Führer der Wirtschaft letztmals vor zwanzig Jahren. Damals, 1995, gings gegen die AHV, die Pensionskassen, die Arbeitslosenversicherung – gegen den Sozialstaat, der weitgehend zum privaten Profitstaat pervertiert werden sollte.
Zementkönig Thomas Schmidheiny wusste zu jener Zeit nicht nur, was der Schweiz frommt, sondern auch, was die Stunde geschlagen hatte: «Es ist zwei Minuten vor zwölf für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Wir lassen jetzt den Wecker rasseln, damit wir nicht demnächst das Totenglöcklein für unser Land läuten müssen.»
Eine alarmierte Öffentlichkeit schmetterte das neoliberale Projekt ab. «Das Totenglöcklein für unser Land» brauchte trotzdem nicht geläutet zu werden. Ja, im Rückblick kommt man eher zum Schluss, die Forderungen der Vaterlandsretter hätten das «Erfolgsmodell Schweiz» schwer beschädigt, wenn nicht zerstört, beruht es doch wesentlich auch auf einem über Generationen erkämpften Sozialstaat.
Diese Vergangenheit ist zu bedenken, wenn man Sergio Ermottis Deregulierungsruf beurteilt. Aktuellere Bedenken kommen hinzu: Keine Branche hat das Fehlen von Gesetzen und Regeln schändlicher missbraucht als die global ausufernde Finanzwirtschaft. Und keine Schweizer Bank hat sich skrupelloser aufgeführt als die heute von Ermotti geführte UBS – bis hin zu kriminellem Verhalten.
Auch hat sich keine Kaste über Jahrzehnte hinweg selbstherrlicher inszeniert als die Banker.
Freilich: Sergio Ermotti ist seit einiger Zeit dabei, die schwer lädierte Reputation der UBS zu reparieren. Er unternimmt dies zusammen mit seinem Verwaltungsratspräsidenten Axel Weber, dem früheren Chef der Deutschen Bundesbank – einer Persönlichkeit, die weiss, dass gesellschaftliche Interessen sich nicht partout mit den Profitinteressen einer Bank decken müssen, dass sie manchmal sogar gegenläufig sein können.
Weiss Ermotti das auch? Er sagt: «Wir Banker sind bereit, unseren Beitrag zu leisten» – zum «Erfolgsmodell».
Dieses Modell aber wird politisch getragen von allen bürgerlichen Parteien: vom Freisinn, von den Christdemokraten, von den Sozialdemokraten, auch von den Grünen und der Partei der umsichtigen Reformerin Eveline Widmer-Schlumpf.
Wer ist für Sergio Ermotti Träger des «Erfolgsmodells Schweiz»? Nur die Rechte, bis hin zur äusseren Rechten? Also auch jene Kräfte, die gerade mit Feuereifer dabei sind, die Beziehungen der Schweiz zur EU zu zerstören – zu ihrem wichtigsten Wirtschaftsraum?
Oder gehört die Linke dazu, die das so eifrig beschworene «Erfolgsmodell» in seinen sozialen Dimensionen geschichtlich verantwortet – und dadurch die moderne Wirtschaftsschweiz erst möglich gemacht hat?
Der UBS-Chef wagt sich mit seinem Forderungskatalog über das intellektuell doch eher bescheidene Geldgeschäft hinaus. Er will der Politik das Politisieren beibringen. Das wollte einst auch UBS-Crash-Pilot Marcel Ospel: «Die Politik Anstand lehren.»
Man muss Chuzpe haben, um in solche Fussstapfen zu treten.
Sergio Ermotti müsste nun auch noch Mut haben: zu einem wirtschaftspolitischen Einfall, der das ganze Land meint, nicht nur die eigene Klientel – soll der Einfall mehr sein als einfältig.
Hat er diesen Mut? Oder muss er erst noch seine Souffleure fragen?