Der Medienforscher Vinzenz Wyss sagt über den Journalismus in der Schweiz: «Seit 2015 hat ein klarer Linksrutsch stattgefunden.» Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, wo Wyss als Professor der Journalistik amtet. Exakt 37 Prozent der Medienschaffenden halten sich für politisch links, weitere 39 Prozent für eher links.
Als «naheliegende Erklärung» verweist Wyss auf folgenden Befund: «Personen mit einem geisteswissenschaftlichen Studium sind auf den Redaktionen überrepräsentiert.» Und weiter: «Leider kommen wir zum Schluss, dass im gesamten Berufsfeld die Diversität der Bevölkerung nicht sehr gut repräsentiert ist.» Was Wyss aus eigenem Erleben bestätigen kann: «Im Dorf habe ich viel zu tun mit Handwerkern, die sich von den links-urban geprägten Medien schlecht abgeholt fühlen.»
«Schlecht abgeholt»? Der Medienforscher spricht im Jargon des links-urbanen Journalismus – von oben herab: Menschen vom Dorf, einfache Gemüter also, müssen an die Hand genommen werden. Seine Erkenntnisse vertraute Wyss dem Zürcher «Tages-Anzeiger» an, einem Blatt, das sich gerne mit seinen studierten Mitarbeitern schmückt.
Nicht nur im Journalismus sind Studierte «überrepräsentiert», sondern überall in der Gesellschaft, wo relevante Entscheide zu treffen sind. Vor allem dort, wo diese Entscheide kulturell-kommunikativ in die Wege geleitet werden, bestimmt ein akademisch geprägtes Milieu: in der links-grünen Politik ebenso wie in den von der Politik besetzten Spitzen der öffentlichen Verwaltung oder in den parapolitischen Organisationen, die sich gesellschaftlichen Themen widmen, in den NGOs, die gerne im nicht-gouvernementalen Mäntelchen auftreten, tatsächlich aber als Meinungsverstärker, oft sogar als subventionierte Lautsprecher des linken Gouvernementalismus auftrumpfen.
Und schliesslich eben: in der «Vierten Gewalt» – den durchakademisierten Medien.
Akademisch Gebildete als Meinungs- und Stimmungsmacher – kann man das nicht auch positiv sehen? Sind Journalisten, die wissen, wovon sie schreiben und reden, in komplexen, hoch komplizierten Zeiten nicht für alle und alles von Vorteil?
Doch wie will ein Journalist wissen, wovon er schreibt, wenn er die Welt, die er beschreibt, gar nicht kennt, wenn er ihre Wirklichkeit gar nicht erlebt hat?
Theorie statt der Praxis, die den Alltag der Bürger ausmacht, das ist die universitäre Wirklichkeit.
Wissen als Ausmalen von Leben.
Dabei geht es gerade im Journalismus ums Erleben von Leben: dass die Medienschaffenden wissen, was sie in ihren Laptop tippen oder ins Mikrofon sprechen, weil sie Teil sind der Verhältnisse, denen sie ihre Reportagen und Analysen abgewinnen – dass sie «sagen, was ist», wie Rudolf Augstein, Gründer des Nachrichtenmagazins «Der Spiegel», einst forderte.
«Was ist», muss auch die Politik wissen, die doch für sich in Anspruch nimmt, Gesellschaft zu gestalten. Nicht weniger die akademische Szene, die sie umschwänzelt – masst diese sich doch an, die politische Kultur zu bestimmen, als sei sie ihr privilegierter Besitz.
«Szene» ist das Schlüsselwort: Eine Szene inszeniert sich als Herrschaftsklasse, die es mit den Geführten gut meint – wie die herrschenden Klassen stets in der Geschichte behaupten. «Die Handwerker auf dem Dorf» sollen sich «gut abgeholt fühlen»: die Nichtakademiker von den Akademikern.
Die oben führen am Händchen die unten: die Sanitärinstallateure, die Mechanikerinnen, die IT-Fachkräfte, die Schreinermeisterinnen, die Pfleger, die Maurer, die Dachdeckerinnen, die Bodenleger.
Das Volk.
Weil sich das Volk aber immer mal wieder einen Teufel schert um das erzieherische Diktat, fahren die herrschenden Herrschaften gerne ihr schwerstes Geschütz auf: die Wissenschaft im Kleid des Experten.
Wer sich als Journalist zu behaupten erdreistet, zwei und zwei ergebe vier, holt sich einen Experten, um seine waghalsige These zu untermauern.
Experten als Klerus der Medienkirche.
Was sollen die «abgeholten», die geführten Bürger da noch einwenden? Sie sind sprachlos angesichts der geballten akademischen Experten-Kompetenz – Erziehung durch pädagogischen Paternalismus, eine autoritäre Methode, die auch die durchakademisierten Parteien praktizieren.
So hält sich eine gesellschaftliche Minderheit an der Macht: an der kulturellen Macht, ganz im Sinne des sozialistischen Vordenkers Antonio Gramsci
(1891–1937) aus Italien, der seinen Genossen beibrachte, dass nicht die Ökonomie Basis aller Macht sei, sondern die Kultur.
Gramscis Kulturrevolution findet gerade statt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Im freien Westen.
Wenn allerdings Freiheit Politik ist, wie die grosse deutsch-amerikanische Philosophin Hannah Arendt schon vor Jahrzehnten konstatierte, dann ist noch nicht alles verloren. Denn die Bodenleger und Pflegerinnen fordern in jüngster Zeit immer nachdrücklicher Freiheit von akademischer Bevormundung. Und Freiheit ist etwas, was jeder in sich spürt – ein klassenfreies Gefühl.
Jetzt muss aus diesem zauberhaften Verlangen nur noch Politik werden – gegen die universitären Elitisten.
Wie das funktionieren kann? In aller Bescheidenheit wäre hier die Ringier-Journalistenschule als Beispiel anzuführen: Höchstens die Hälfte der Schüler darf Universitätsabsolventen sein, die andere Hälfte soll aus der nicht akademischen Berufswelt kommen. Ausserdem müssen mindestens 50 Prozent der Journalismus-Lehrlinge weiblich sein. Beide Regeln wurden vor mehr als
zehn Jahren eingeführt.
Und genau nach diesem Muster wäre die Ent-Akademisierung in den Redaktionen vorstellbar, ebenso in den Parteien, den NGOs, den Verwaltungen – in allen
Institutionen der Demokratie!
Bis zur Wiedereröffnung der offenen Gesellschaft.