Er wärs – Gerhard Pfister, Führungsfigur der christlich-demokratischen Politik im Bundeshaus.
Er ist es aber nicht – Gerhard Pfister verzichtet darauf, Nachfolger der vorzüglichen Viola Amherd zu werden. Er folgt dem intimen Eingeständnis, dass aus ihm «kein glücklicher Bundesrat» würde.
Was bedeutet diese Absage? Dass Berns wahrscheinlich kultiviertester Parlamentarier, der wohl brillanteste Intellektuelle des Parlaments, der mit Sicherheit stringenteste Stratege unter der Bundeskuppel seiner privaten Befindlichkeit Vorrang gibt, wo politische Pflicht gefragt wäre. Das aber ist ganz und gar Gerhard Pfister: Er möchte nicht gefallen, er will überzeugen – und bringt das bisweilen mit einer Unnahbarkeit zum Ausdruck, die sich zur Arroganz steigern kann.
Pfister, eine hochgradig eigenständige Persönlichkeit, wärs gewesen. Gerade deshalb.
Und nun? Ist die Stunde der freundlichen Langweiler angebrochen: Ein Bauernfunktionär aus dem Nationalrat und ein Regierungsrat aus dem Kanton Zug haben «Hier» gerufen, beide mit dem unverbindlichen Lächeln, das ihrer Kandidatur dienlich erscheint, beide eher bescheidenen Profils, beide noch der Entdeckung bedürftig, wenn nicht gar der Erweckung – und beide immerhin denkbar als taugliche Bundesräte.
Aber ist das wirklich die CVP?
Handelt es sich bei der Mitte noch um die Partei, die 1959 unter der Regie ihres Generalsekretärs Martin Rosenberg die Zauberformel für die Landesregierung erfand, indem sie zwei Sozialdemokraten den Weg ins Siebner-Kollegium eröffnete? Ist sie noch immer die helvetische Gestaltungspartei, zu welcher der begnadete Machtpolitiker Rosenberg die katholische Erhaltungspartei damals nach der Devise umbaute: Ohne Christdemokraten geht nichts?
Es war diese Partei, aus der Bundesratsfiguren mit kantig-kompetenten Konturen hervorgingen, die Geschicke und Geschichten des Landes prägten, beispielsweise Kurt Furgler, Arnold Koller, Hans Hürlimann, Flavio Cotti, Joseph Deiss oder Doris Leuthard, alles herausfordernde Charakterköpfe. Auch das Parlament war – von Raymond Broger über Guy Fontanet bis Julius Binder – zu jener Zeit mit originell-kreativen Christdemokraten gesegnet.
Was für eine Partei!
Und was ist aus ihr geworden?
Nicht einmal eine Partei von Frauen, die nach vorne drängen, die Bundesrätinnen werden wollen. Stattdessen lauter Absagen: unergiebige Deklamationen der Bescheidenheit anstelle von politischem Machtbewusstsein und Gestaltungswillen für das Land, ganz zu schweigen vom Bewusstsein für die historische Rolle der eigenen Partei.
Dabei ist es keineswegs einerlei, ob die katholisch grundierte Kultur der Schweiz das Landesschicksal im Bundesrat selbstbewusst mitgestaltet – ganz besonders in Zeiten konzentrierter rechtspopulistischer Angriffe auf die demokratische Welt des Westens.
Da hätte die Mitte durchaus mehr als nur den Namen beizutragen: christdemokratische Vernunft in der Pflicht der offenen Gesellschaft, beseelt von einem konsequenten konservativen Liberalismus. Die Bürgerschaft des Landes hat den Einsatz der Besten für dieses Ziel verdient. Wer in Bern politisiert, darf einen solchen Anspruch nicht ignorieren. Und wenn doch?
Das wäre dann eine CVP/Mitte, wie sie derzeit vor sich hin schwächelt.
Was ist daraus zu schliessen? Es muss diesmal kein Christdemokrat zum Bundesrat erkoren werden, so mittig auch immer er sich in Szene setzen mag. Das Parlament, frei, wie es gemäss Verfassung zu wählen bestimmt ist, möge anderswo Ausschau halten nach einer Kandidatin von kultureller Klasse und intellektueller Kompetenz, kampfeslustig und konsensfähig.
Nach einer bürgerlichen Frau für unsere Zeit!