Frank A. Meyer über das Rahmenabkommen mit der EU
Starrsinn

Publiziert: 23.09.2018 um 12:40 Uhr
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Aktualisiert: 23.09.2018 um 12:42 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Wie sich das liest! «Die Schweizer Wirtschaft wächst rasant.» So vermeldete es eine Schlagzeile in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom Donnerstag. Drei Prozent Wachstum seien im laufenden Jahr zu erwarten, hätten Ökonomen verkündet. Die NZZ: «Es herrscht Hochkonjunktur.»

Fürwahr, die Schweiz hat etwas zu feiern: sich selbst!

Sich allein?

Wo wächst die Schweizer Wirtschaft? Wo gedeiht sie? In der Wüste? Auf einer Insel? Die Schweiz prosperiert mitten in der Europäischen Union. Also mitten im erfolgreichsten Wirtschaftsraum der Welt. Auch mitten im sozialsten Wirtschaftsraum der Welt.

Seit langem möchte die Europäische Union den Beziehungen zur Schweiz einen politischen und rechtlichen Rahmen geben – ein Rahmenabkommen anstelle von mehr als hundert bilateralen Verträgen.

Bis vor kurzem sah es so aus, als würde dies gelingen. Doch dann erklärte Paul Rechsteiner, Sozialdemokrat und Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes: Die flankierenden Massnahmen sind nicht verhandelbar, der Lohnschutz vor ausländischen Dumpinglöhnen muss bis aufs Komma bleiben, wie er ist, sonst gibts ein Referendum gegen das Rahmenabkommen.

Seither ist der mächtige Ständerat des Kantons St. Gallen zu nichts mehr zu bewegen. Ja, er ist derart erstarrt, dass er sogar ein Gesprächsangebot von Bundesrat Johann Schneider-Ammann abschmetterte, dem wohlwollenden Wirtschaftsminister der Eidgenossenschaft.

Dabei kann nicht die Rede davon sein, dass die EU keinen Lohnschutz akzeptieren würde. Sie ist, im Gegenteil, mit ihren eigenen Lohnschutzmassnahmen recht nahe bei der schweizerischen Lösung. Zur Diskussion stehen lediglich technische Fragen. Zum Beispiel die Anmeldefrist von acht Tagen für ausländische Firmen, die in der Schweiz einen Auftrag erledigen wollen. Im digitalen Zeitalter ein lösbares Problem, sollte man meinen.

Falsch gemeint. Nichts geht mehr. Kein Gespräch. Kein Erwägen. Kein Für und Wider. Kein Nachdenken, auch kein Darüber-Schlafen. Alles, was zum politischen Handwerk gehört, ist ausser Kraft gesetzt.

Paul Rechsteiner ist ein gescheiter Mann, immer wieder auch ein kluger Mann. Er hat sich um den Sozialstaat Schweiz verdient gemacht. Was ist in ihn gefahren?

Der Starrsinn!

Anders lässt sich die Intransigenz von Rechsteiners späten Jahren nicht erklären. Er, der nie mutwillig destruktiv war, zerstört die konstruktive Lösung zwischen der Schweiz und der Europäischen Union: das Rahmenabkommen!

Dient er damit den Arbeitnehmern, denen er sein politisches Leben gewidmet hat? Nein. Ganz im Gegenteil: Geregelte Beziehungen – harmonische Beziehungen – mit der erfolgreichen EU garantieren den Erfolg der Schweiz.

Ja, die Schweiz ist eine grandiose Leistungsnation. Basis der schweizerischen Leistungsbilanz sind fähige und fleissige Arbeitnehmer – durch gerechten Lohn motivierte Arbeitnehmer.

Doch die Schweizer Leistung wird nicht nur in der Schweiz geschätzt – und gekauft. Sondern vor allem in der ganzen Welt. Die Welt liegt gleich nebenan. Von St. Gallen ist es nur ein Katzensprung.

Wer das nicht versteht ...

Paul Rechsteiner versteht es nicht. Nicht mehr.

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